Liebesbisse aus dem Seelenkeller

■ „Bad History“: Jungengeschichten von Sean Tuan John

Irgendwo frohlockt und jubiliert es. Das Licht geht an. Der Mann auf der Bühne setzt sich ein Gummigeweih auf. Ein herzliches Hallelujah vom Tonband, ein ängstlicher Blick zur Seite. Dies ist der Rentiertanz.

Der Soloperformer Sean Tuan John hüpft und windet sich im schmalen Lichtbalken, verharrt, zittert, wittert. Der ganze Körper hat sich verklemmt. Sean Tuan John kehrt zur Toilette zurück, also an den Ort, an dem Pubertierende nicht nur aus Südwales einen nicht ganz unbeträchtlichen Teil ihres Heranwachsens zu verbringen scheinen, wenn sie mit heimlicher Lektüre, halbverdauten Exzessen oder dem eigenen Anblick in allen Lebenslagen allein sein wollen.

Da sitzt er nun, erzählt Geschichten von Liebesbissen und Pickelpornos oder von jenem Septembertag, an dem ein Junge, alle Erdbeben und Flugzeugkatastrophen mißachtend, in einen hundertjährigen Schlaf fiel. Und wenn auf den Monitoren die alter egos noch schlummern und die Welt außerhalb von MTV zusammenkracht, tanzt Sean Tuan John uns den Teufel. Er wackelt mit Hüften, macht sich mit jedem Augenaufschlag wichtig, erprobt sich erstmals als selbstbewußter Männerkörper, der das angstblasse Rentier vom Anfang längst verdaut hat. Doch in der nächsten Sekunde dreht sich die Erde wieder andersrum. War er sich auf dem warmen Brillenrand noch sicher, ein Leben als Popstar zu führen, verpaßt ihm die nächste Geschichte einen Kürbiskopf, und das Nägelkauen geht von vorne los.

Eine bündige, pointensichere Lach- und Krachgeschichte mit exzentrisch ausgemalte Pubertätsnöten und neckischem Wandschmuck aus diversen Seelenkellern unseliger Halbmänner. Und gibt es Tränen, durchzuckt es wüst und witzig gleich den ganzen theatralen Leib, bis endlich jemand Licht anmacht.

Birgit Glombitza

Fr, 21 Uhr, Kampnagel, k4