Zwischen Jugendstreichen und Schlägereien

■ Fachtagung zum Umgang mit straffälligem Verhalten Jugendlicher: Was früher durch sozialen Druck geregelt wurde, wird jetzt an die Polizei delegiert

Richtig Leben kam auf, als Wolfgang Penkert, heute Leiter des Landesjugendamts, gestand, in seiner Jugend Mitglied einer „Farbschmiererbande“ gewesen zu sein. „Was ich und meine Freunde so alles angestellt haben im tiefsten Wedding, und trotzdem sind wir alle anständige Bürger geworden. Ich habe einfach Glück gehabt, daß ich nicht erwischt worden bin.“ Im Vergleich zu seinen Delikten seien heute aber viele Veränderungen deutlich: „Brachten wir noch unsere Wandparolen mit Kreide an, schlicht, weil es damals keine Spraydosen gab, so ist heute jeder erwischte Sprayer ein Fall für die Justiz. Und am meisten Angst hatten wir nicht vor der Polizei, sondern vor den Hauswartsfrauen, den ,Hausdrachen‘. Viele Konflikte wurden innerhalb der sozialen Gemeinschaften geregelt, heute wird alles an Polizei und Justiz delegiert.“

Und so landet jeder Jugendliche, der etwas ausfrißt und dabei erwischt wird, im Dreieck zwischen Polizei, Justiz und Jugend(gerichts)hilfe. Etwa 150 VertreterInnen dieser Institutionen waren am Mittwoch zu einer Fachtagung im Nachbarschaftsheim in der Kreuzberger Urbanstraße zusammengekommen. Gemeinsam sollte nach einem „sinnvollen Umgang mit straffälligem Verhalten Jugendlicher in einer sich wandelnden Gesellschaft“ gesucht werden. Die Bandbreite der Jugendkriminalität ist groß: Sie reicht vom einfachen Kaufhausdiebstahl über SprayerInnen bis hin zum Handtaschenraub bei der Omi oder gar bis zum neofaschistischen Überfall.

Im Eröffnungsreferat stellte Detlef Frehsee von der Uni Bielefeld dar, wie die gesamte Sozialpolitik immer mehr auf ein „wirtschaftliches Produkt, das sich rechnen müsse“ ausgerichtet wird. Fürsorge richte sich fast nur noch an die Jugendlichen, die „besonders lästig“ seien. Eine Fürsorge für alle Jugendlichen bleibe dabei auf der Strecke.

Offen blieb die Frage, welche Perspektiven den Jugendlichen geboten werden sollen, wenn die Gesellschaft selbst keine mehr aufzeigt. Schließlich fehlten auch den Erwachsenen die Antworten, hieß es. Verschärfungen des Strafrechts oder die Herabsenkung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre, wie immer wieder von konservativen Kreisen gefordert wird, wurden von den Teilnehmern dagegen heftig abgelehnt. Michael Matzke von der Berliner Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege forderte gar, diese ganzen Angriffe besser auszusitzen. Jedes Eingehen auf berechtigte Kritik und Schwachstellen spiele bei den derzeitigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen nur den Rechten in die Hände.

Kriminalität sei nun mal in jeder Gesellschaft etwas Normales, stellte die Jugendrichterin Burkhardt fest. Die Frage sei, ob nicht die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung viel mehr in den Mittelpunkt des Strafrechts gestellt werden müßten als etwa Eigentumsdelikte wie etwa Kaufhausdiebstahl. Christoph Villinger