Keiner der Kollegen protestierte

■ Zum 125jährigen Jubiläum erinnert das Krankenhaus Moabit mit einer Ausstellung an das Schicksal seiner ehemaligen jüdischen MitarbeiterInnen. Sie bereiteten den Weg zu einer modernen Sozialmedizin

Herr Geheimrat Moritz Borchardt war wegen seiner Strenge gefürchtet. Bevor der Chefarzt des Moabiter Krankenhauses bei Dienstschluß in sein Taxi stieg, mußte sich das Personal in Reih und Glied aufstellen und ehrfurchtsvoll verneigen. Immerhin war ihm und seinem Kollegen Georg Klemperer der Aufstieg des Moabiter Krankenhaus in den zwanziger Jahren zu einem der führenden Krankenhäuser Berlins geschuldet. Mehrfach wurden die beiden Koryphäen der Chirurgie nach Moskau an Lenins Krankenbett gerufen.

Doch die Machtergreifung der Nazis hat im Moabiter Krankenhaus auch nicht vor diesen beiden durch und durch preußischen Honoratioren halt gemacht. Wie alle ihre Kollegen aus jüdischer Familie wurden sie im Jahr 1933 aus dem Amt gejagt. Im April stürmte ein Trupp SA-Männer das Krankenhaus und deportierte die jüdischen Ärzte aus ihren Arbeitszimmern und den Operationssälen heraus in das SA-Gefängnis in der Papestraße. Nur der Arzt Erich Simenauer entging den dortigen Torturen. Er hatten einen der SA- Angehörigen operiert, weswegen der auf seinen Gefangenenzettel den Hinweis schrieb: „Nicht mißhandeln“.

Diese Aufschrift gab der Ausstellung ihren Namen, mit der das Krankenhaus Moabit im Rahmen seiner 125-Jahr-Feier an seine ehemaligen jüdischen Mitarbeiter erinnert. Sie zeigt die Verfolgung und Vertreibung von mehr als einem Drittel der Ärzte und PflegerInnen, wozu ihre „arischen“ Kollegen kein Wort des Protests verloren. Sie zeigt aber auch, wie eng die moderne Sozialmedizin und alternative Heilmethoden mit jüdischen Namen verbunden waren.

Die Leiterin des Hygiene-Instituts, Lydia Rabinowitsch-Kempner, war die erste ordinierte Professorin in Preußen. Ernst Haase, Lilly Ehrenfried und Hertha Nathorff-Einstein waren WegbereiterInnen der Suchtfürsorge oder Sexualberatung. Rassenbiologie und Eugenik der Nazis zerstörten diese Tradition der Sozialmedizin, an die auch nach 1945 nicht wieder angeknüpft wurde.

Im Gegenteil: SS-Arzt Heinrich Teitge hatte 1933 die Leitung des Krankenhauses übernommen und es in eine zentrale Klinik für Zwangssterilisationen verwandelt. In der Bundesrepublik praktizierte er weiter als Chefarzt eines Kreiskrankenhauses in Westfalen.

„Nicht mißhandeln“ war bereits 1984 von dem damaligen Assistenzarzt Christian Pross zusammengestellt worden, der sich auf die „Suche nach Vorbildern“ hatte begeben wollen. Seine damalige Initiative erklärt Pross, der heute das Zentrum für Folteropfer leitet, mit den Tradition des Ärztestandes, die ihm nicht behagten: „Meine Professoren an der Universität Heidelberg hatten mir zu viele Schmisse im Gesicht“.

Mit der Wiederaufnahme will das Moabiter Krankenhaus zu seinem diesjährigen Jubiläum vor allem bisherige Versäumnisse nachholen. Noch 1972, zum 100jährigen Jubiläum, war in der offiziellen Festschrift kein Wort über die NS- Zeit verloren worden. Neben der Ausstellung will es seine verfolgten Kollegen auch mit der Aufstellung eines Gedenkstein würdigen, derbeim offiziellen Festakt eingeweiht werden soll. Thekla Dannenberg

„Nicht mißhandeln“: Krankenhaus Moabit, Haus M, Eingang Birkenstraße