Zwischen den Rillen
: Großes Wummsen

■ Supergrass schlenkern im Pop, bei den Chemical Brothers wird Techno gerockt

Viel hektische Betriebsamkeit mal wieder auf den Britischen Inseln. Als zum Jahreswechsel die Kunde ging, im Frühjahr werde ein neues Album von Oasis veröffentlicht, legte man sich bei der Konkurrenz kräftig ins Zeug. Keine Band wollte im zu erwartenden Wirbel um das (bisher immer noch nicht vorliegende) dritte Album der Gallagher-Brüder untergehen. Nach Blur, Charlatans und den üblichen Neulingen landen nun erst mal Supergrass ihren Coup. Drei Jungspunde, deren Debüt man hierzulande nur am Rande wahrnahm – zu übersättigt war man vom ganzen Rummel um England und Britpop.

Obwohl sich die Songs von Supergrass wirklich frisch, launig und unbekümmert anhörten. Mit ihren Top-20-Hits „Lenny“, „Mansize Rooster“ und „Alright“ schlugen sie übermütige Purzelbäume durch die Popgeschichte: Glamouröser Bubblegum-Punk war das mit Grußbotschaften an Cheap Trick, Small Faces, Undertones, Buzzcocks und sonstwen. Und mit „Alright“ zielten Supergrass mitten ins Herz der Teenager: „Wir sind jung“, sagen sie, „wir wachen auf, rauchen eine Zigarette, gehen aus und fühlen uns gut.“ Und selbst wenn dieser Teenspirit schwer nach Ironie roch, wurde der Song laut i.D. „the official anthem of Brit- Pops Long Hot-Summer“.

Jung sind Supergrass natürlich auch noch „in 1997“. Doch jetzt heißt es, richtig Kapital daraus zu schlagen. Man arbeitet nicht nur seitens der verantwortlichen Plattenfirma mächtig an einer Karriere jenseits des Kanals. Supergrass spielen gerne mit, treten ihre Reise um die Welt an und sagen zum Beispiel den Kids auf Viva: Kommt zu unseren Konzerten, kauft unsere Platten, macht uns richtig reich. „In It For The Money“ heißt ihr Werk folgerichtig. Transportierten sie seinerzeit per Cover-Artwork einen rebellisch-aggressiven Charme, posieren die drei jetzt gemütlich- hoboesk mit Gitarre, Standbass und Mülltonne. Wobei sich das wie bewußt gesetztes Understatement liest, denn die Zeit der Reife nahm bei Supergrass nicht mehr als zwei Jahre in Anspruch. Abgelegt haben sie das Zappelige, die Energien werden kanalisiert, und gemächlich entfalten sie in den neuen Songs die vollen Breitseiten: Hier trifft die Sonne erst spät den Himmel, dann aber richtig.

Ordentlich gepowert wird zwar weiterhin, doch von diesem Album ein Lied in ein Fußballstadion oder an den Badestrand mitzunehmen fällt schwer: ein kleiner Schlenker hier, ein Break dort, mal dezente, mal sehr offensichtliche Bläsereinsätze, feine Keyboardarrangements, versteckte eunuchoid-jubilierende Backgroundgesänge – Feinheiten finden sich zuhauf.

Um die Songs richtig liebzuhaben, muß man sich also mehr Zeit als beim letzten Mal nehmen. Stellt sich natürlich die Frage, ob die Welt, die sie jetzt im Sturm nehmen wollen, diese Zeit hat und dieses hintergründige, großartige Popalbum annimmt.

Keine Probleme dürften damit die Chemical Brothers mit ihrem neuen Album haben. „Dig Your Own Hole“ sitzt sofort und wie angegossen in den Ohren, und einigen können sich darauf Raver genausogut wie Indiekids. So sehr man als alter Wertkonservativer die Hysterie schätzt, die Gitarrenpop auf den Inseln noch immer auslösen kann: Der Sound, der England momentan im Griff hat und gegen den auch Oasis erst mal anstinken müssen, der kommt von The Prodigy, von Underworld und eben von den Chemical Brothers.

Chemical Brothers Foto: Virgin

Auf „Dig Your Own Hole“ macht es meistens nur bumms und wumms, da fliegen Bleche weg, da bleibt kein Stein mehr auf dem anderen, da kann es nur heißen: einschalten, hochladen, abfahren. Die offizielle Lesart des Chemical-Brothers-Sounds heißt zwar Indietechno, also die Verkantung von Techno und Rock. Doch hört man hier wirklich alles, was das Popherz begehrt, bloß keine an der Gitarre ausgedachten Songs: Breakbeats, Techno, House, Elektro- Rock 'n' Roll, HipHop-Samples und zahlreiche Gimmicks wie etwa zehnminütige psychedelische Schleifen (der letzte Song, „The Private Psychedelic Reel“, hört sich an wie eine Mischung aus Hawkwind und Kula Shaker). Eklektizismus is in the house, und den Rock hat man als Ornament einfach mit in den Subtext übernommen: Don't Stop The Rock.

Und damit das auch jeder glaubt, haben sich die Chemical Brothers Gesangsparts von Leuten auf ihr Album geholt, die sicher nicht unter Verdacht stehen, mit Technobrettern zu liebäugeln. So singt in „Setting Sun“ Oasis' Noel Gallagher eher fremdbestimmt als nölig, und in „Where Do I Begin“ schwingt sich Beth Orton zerbrechlich durch die Galaxien.

Eigentlich wartet man jedoch immer wieder auf den nächsten Elektroschock, auf die süchtig machenden block rockin' beats. Allerdings ist der nächste Kick nicht immer der beste, die Wirkung läßt nach, und eine höhere Dosis gibt es nicht. Nur Wiederholung und dann ein Gefühl der Leere. „Dig Your Own Hole“ ist wirklich zupackend, keine Frage. Doch der Lack ist schnell ab, und darunter findet sich rein gar nichts mehr. Schnell kaufen, schnell hören, bevor das Haltbarkeitsdatum verfällt – und man vielleicht doch lieber ein Wort mehr über eine Band wie Supergrass verlieren möchte. Gerrit Bartels

Supergrass: „In It For The Money“ (Spin/EMI)

Chemical Brothers: „Dig Your Own Hole“ (Virgin)