Historischer Boden, Klasse fünf

Am Mittwoch wird die umgestaltete KZ-Gedenkstätte Neuengamme wiedereröffnet  ■ Von Judith Weber

Der Bus steht auf einer Baracke. Zugeschüttet liegt sie neben und unter dem neuen Parkplatz der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Die SchülerInnen, die gerade aus dem Bus steigen, bräuchten nur vier Meter weiter links mit dem Fuß zu scharren, um auf das Dach des ehemaligen KZ-Gebäudes zu stoßen.

BesucherInnen ist das Buddeln jedoch verboten. Graben dürfen nur Fachleute, und zwar erst, wenn die Gedenkstätte Geld hat, um die Baracke zu konservieren. Weil das nicht in Sicht ist, haben die Gartenbau-MeisterschülerInnen der Hamburger Fachschule für Agrarwirtschaft das Gebäude wieder zugeschüttet, kaum daß sie es entdeckt hatten.

„Nicht so tragisch“, findet Frank Jürgensen, Museumspädagoge in der Gedenkstätte. Er ist schon froh, daß die Schule Geld aufgetrieben hat, um Teile des Geländes umzugestalten – daß auf dem ehemaligen SS-Schießstand keine Büsche mehr wuchern, und daß der Blick frei ist auf einen Schieferhaufen, der die Schüsse abfing. Hier haben die Nazis Gefangene hingerichtet. Mehr als 55.000 Häftlinge starben in Neuengamme.

Weil viele Opfer aus Rußland, Polen, der Ukraine und Belgien kamen, formieren sich auf dem Platz vor den Ausstellungsräumen seit kurzem Mosaiksteine zu einer Europakarte. Städtenamen sind in den „Weg der Deportierten“eingelassen, die Verbindung zwischen Schießstand und Vorplatz. Madrid ist dabei und Moskau, Kiew und Wien und Hamburg – Orte, aus denen die Nazis Menschen nach Neuengamme verschleppten. Am kommenden Mittwoch, 30. April, wird das neugestaltete Areal offiziell und feierlich der Öffentlichkeit übergeben.

Momentan laufen hauptsächlich die Gartenbau-MeisterschülerInnen über das Gelände, das 35mal so groß ist wie der Rathausmarkt. Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Ortes findet nur als Vorher-Nachher-Vergleich statt. „Hier war früher Gestrüpp“, weist einer auf den Schießstand. Gar nichts habe man sehen können. Jetzt sei das doch viel besser. Pläne und Zeichnungen unter dem Arm diskutieren die angehenden Gartenbaumeister darüber, ob Findlinge den Weg der Deportierten nicht eindrucksvoller gesäumt hätten – und wohin mit der Laterne?

Es hat gedauert, bis sich diese Nüchternheit einstellte. „Anfangs war es schon ein komisches Gefühl, hier rumzugraben“, sagt Gartenbauschüler Roland Klaus. Beklemmung machte sich breit, und die Angst, etwas kaputtzumachen. „Das ist schon was anderes, als einen Park zu gestalten“, meint sein Kollege Uwe Friedrich. Die SchülerInnen verzichteten auf Maschinen und gruben per Schaufel um.

Nach einem halben Jahr planen und buddeln, Steine legen und Unkraut rupfen sehen sie den Weg der Deportierten und den Vorplatz fachlicher – und freuen sich, wenn es rund um den Schießstand grünt. Schließlich hatten sie es mit „Boden Klasse fünf“zu tun, grummelt Friedrich. Soll heißen: Steinig, hart und pflanzenunfreundlich. Irgendwie gedeiht das frischgesäte Gras dennoch. Damit erweisen sich die Halme als projekttauglich. Pflegeleicht müsse alles Neue sein, hatte sich das Bergedorfer Bezirksamt ausgebeten. Nur unter dieser Bedingung zahlte die Behörde Umgestaltung und Instandhaltung. Die Lehrer Dirk Wyrobek und Martin Kossendey waren einverstanden. Lange schon hatte Kossendey nach Freiwilligen gesucht, um die Gedenkstätte aufzupolieren. Durch die Neuerungen, hofft er, gerate Neuengamme noch eindrucksvoller.

Tatsächlich werden die Schritte der SchülerInnen unregelmäßig, als sie am Weg der Deportierten ankommen. Einige steigen storchenartig über die Städtenamen, als sei jede Berührung pietätlos. Andere gehen im Wortsinn darüber hinweg. Uwe Friedrich sieht das pragmatisch: „Da kann man ruhig drauftreten. Das ist ein Quarzsand-Harz-Gemisch, da kann nichts passieren.“