"Ich möchte Kraft geben"

■ Kisch-Preisträger Cordt Schnibben über sprachliche Trends im Journalismus, den neuen Reporterpool beim "Spiegel" und "Häuser, die sich am Berghang ducken"

taz: Ihr soeben erschienenes Buch „Ché und andere Helden“ handelt von Popstars, Personen der Zeitgeschichte und sogenannten kleinen Leuten. Was macht all diese Menschen zu Helden?

Cordt Schnibben: Das sind Personen, die Geschichte machen oder eine Geschichte haben, die sie über andere Menschen erhebt. Dem Journalisten fallen diese Menschen auf, und indem er über sie berichtet, macht er sie zu Helden.

Erfüllen Helden stellvertretend geheime Wünsche?

Natürlich. Wenn ich über Ché Guevara schreibe oder über Frauen, die sich in Sperrholzflugzeuge gesetzt und Bomben auf Hitlers Armee geworfen haben, dann finde ich in diesen Personen etwas, das ich bewundere und auch gern machen würde.

Welcher Ihrer Helden hat Sie am meisten berührt?

Die vietnamesischen Babys, die im Alter von zwei Jahren von Deutschen adoptiert wurden und jetzt ihre Eltern suchen. In die Geschichte wurde ich emotional so hineingezogen, daß ich mich nicht mehr als Journalist fühlte, sondern als jemand, der auf dieser Reise auch dem Verhältnis zu seinen eigenen Eltern nachspüren mußte.

Ihr neues Buch handelt überwiegend von Tod, Krieg und Verbrechen. Die Texte in Ihrem ersten Reportagenband von 1988 waren fröhlicher, unbeschwerter. Wo ist diese Leichtigkeit geblieben?

Ich versuche noch immer, die Dinge, über die ich schreibe, leicht zu machen. Aber die Dinge, über die ich schreibe, sind ernster geworden. In den ersten Jahren als Journalist interessierte mich die Oberfläche der Gesellschaft, der Medienzauber, die Glitzerwelt, aber irgendwann wird das langweilig, und man beginnt tiefer zu graben, und da werden die Geschichten dann schwermütiger.

Vor Ihrem Einstieg in den Journalismus haben Sie zwei Jahre lang als Werbetexter gearbeitet. Stammen daher die auf den Punkt kommenden Vergleiche?

Ich denke schon. Ich habe erst im nachhinein erkannt, daß ich anfangs bei der Zeit am Ende eines Absatzes den Gedanken in einem Sprachbild oder in einer besonders pointierten Formulierung zusammengefaßt habe. In der Werbung würde man das einen „Claim“ nennen.

Warum sind Sie 1988 von der „Zeit“ zum „Spiegel“ gewechselt?

Helmut Schmidt ging einem auf die Nerven, die Chefredaktion erstickte die Versuche, das Blatt und besonders das Zeit-Magazin zu modernisieren. Außerdem reizte mich die Chance, anders zu arbeiten.

In meinen fünf Jahren bei der Zeit stand das Wie des Schreibens im Vordergrund, beim Spiegel wurde das Was immer wichtiger.

Bekannt geworden sind Sie mit einer Reportage über die Folgen des Massakers von My Lai, für die Sie 1986 den Kisch-Preis bekamen. Was hatte diese Auszeichnung für Folgen?

Erst mal 25.000 Mark. Die haben mein Leben grundlegend verändert, weil ich bis dahin nie mehr Geld hatte, als ich gebraucht habe. Plötzlich konnte ich überlegen. Was für Dinge, die du eigentlich nicht brauchst, kaufst du jetzt? Ich habe mir dann mein erstes Gemälde angeschafft und eine Art- deco-Lampe.

Die zweite Folge war natürlich, daß andere Redaktionen aufmerksam wurden. Die dritte Folge ist, daß man fortan immer an dieser Reportage gemessen wird, genau wie ein Schlagersänger, der mal „Marmor, Stein und Eisen bricht“ gesungen hat. Man beginnt, gegen sich selbst anzuschreiben.

Das klingt nicht sehr positiv.

Nein, einfach nüchtern. Ist nun mal so.

Viele Ihrer frühen Texte sind aus der Sicht eines expliziten Reporter-Ichs geschrieben. Würde dieses Ich dem „Spiegel“ nicht auch gut stehen?

Da war natürlich schon die Eitelkeit des Anfängers. Irgendwann begreift man dann, daß man bei jeder Reportage genau überlegen sollte, wer ist der Held: „Ich“ oder er oder sie. In ganz wenigen Fällen bin „ich“ die Hauptfigur. Dem Spiegel würde die eine oder andere „Ich“-Geschichte gut tun. Manche tun sich dort schwer mit Reportagen, die sagen: Es geht um das, was ich gesehen habe.

In Ihrem neuen Buch bemerkt man Ihre Annäherung an die „Spiegel“-Sprache.

Wodurch?

In den kurzen Absätzen herrscht eine gewisse Atemlosigkeit.

Das ist keine Annäherung an die Spiegel-Sprache, die nicht atemlos ist, sondern traditionell eher ausladend und metaphernsatt. Jüngere Reporter, und von denen gibt es auch beim Spiegel immer mehr, erzählen heute viel schneller. Nicht hastiger, sondern knapper. Davon bin ich beeinflußt. Auch als Leser merke ich, daß ich ungeduldig werde, wenn mir ein Reporter sätzelang beschreibt, wie irgendwo die Sonne aufgeht oder untergeht oder jemand „ganz langsame seine Kaffeetasse abstellt“ oder „Häuser sich am Berghang ducken“.

Wie kann ein Journalist Sie als Leser begeistern?

Indem er mit seinem Text die Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit darstellt.

Vor zwei Jahren sind Sie in die Kisch-Preis-Jury berufen worden. Wie kommt es, daß die Kisch- Preisträger meist Anfang bis Mitte 30 sind?

Der Kisch-Preis ist in Wahrheit ein Nachwuchspreis. Er wird danach verteilt, wer einem neu auffällt. Riehl-Heyse oder Axel Hacke noch mal einen Kisch-Preis zu geben, darauf kommt im Schlaf keiner. Der Preis ist für den Newcomer des letzten Jahres, wie man bei MTV sagen würde.

Sie stehen beim „Spiegel“ einem neu gebildeten „Reporterpool“ vor. Wie ist die Idee zu dieser Gruppe entstanden?

Das war die Idee von einigen Reportern, die sich eine intrigen- und konkurrenzfreie Zone innerhalb einer großen Redaktion schaffen wollten, um über Themen und Erfahrungen zu reden. Und um große, unübersichtliche Themen gemeinsam zu bearbeiten und sich zu helfen bei kurzen, schnellen Reportagen. Als lonesome cowboy durch die Welt zu ziehen ist auf die Dauer ermüdend.

Der Spiegel war ja bekannt dafür, daß er die Wirklichkeit auf eine These hinschrubbt. Damit macht man sich heute lächerlich. In den letzten Jahren ist beim Spiegel die Möglichkeit, Reportagen unterzubringen, gestiegen. Chefredakteur Stefan Aust ist da sehr anregend.

Verfolgen Sie mit Ihren Texten einen literarischen Anspruch?

Nein. Das peinlichste Ergebnis in meiner gesamten journalistischen Laufbahn hatte ich bei diesem Wettvorlesen in Klagenfurt, wo man Gebrauchstexte vorträgt, als seien sie Gedichte oder Erzählungen. Mich hat das so genervt, daß ich zum erstenmal seit der Pubertät wieder Migräne hatte. Ich habe nie wieder Lesungen gemacht.

Dennoch verfolgen Sie ja einen ästhetischen Anspruch mit Ihren Reportagen. Als was würden Sie Ihren publizistischen Auftrag bezeichnen?

„Auftrag“ ist etwas dick. Ich möchte Geschichten erzählen, die den Leuten Kraft geben. Das klingt vielleicht etwas pauschal. Aber wenn ich einen schönen Film oder ein schönes Bild gesehen habe, dann gibt mir das so einen Schub, selbst etwas Großes, Schönes zu machen. Das ist wie ein Stoß: Gib dich nicht zufrieden damit, einfach nur abzuliefern, was du abliefern mußt, sondern geh darüber hinaus. Wenn ich Leser auch so anstoße, bin ich zufrieden. Interview: Ariel Hauptmeier