"Es sind ihre Geschichten"

■ Kulturarbeit in Krisengebieten: Ein New Yorker Theaterregisseur inszeniert mit Palästinensern ein Theaterstück in Gaza-Stadt. Ein Gespräch mit Mark Hall Amitin

Tel Aviv, in einem der Strandcafés. Für israelische Verhältnisse ist es entschieden zu kalt für diese Jahreszeit, eigentlich sollte man zumindest in den warmen Nachmittagsstunden unbedenklich ins Mittelmeer steigen können. Mark Hall Amitin genießt die wenigen Sonnenstrahlen, die sich hin und wieder zeigen, und erzählt von einem Theaterstück, das er in Gaza- Stadt zur Aufführung bringen will.

Der 49jährige New Yorker Regisseur hat die sogenannte „World of Culture for Performing Arts“ ins Leben gerufen und scheint geradezu prädestiniert, einen kulturellen Brückenschlag zu den Palästinensern zu versuchen: Einerseits hat er aufgrund seiner jüdischen Herkunft Freunde und gute Verbindungen im kulturellen und intellektuellen Milieu Israels. Andererseits ist er für die Palästinenser als US-Amerikaner eine neutrale Person.

Dennoch steht Mark Hall Amitins Projekt im palästinensischen Autonomiegebiet auf schwankendem Boden. Sitzt man an Tel Avivs Strandpromenade, kann man sich kaum vorstellen, daß die Welt etwas mehr als siebzig Kilometer weiter südlich völlig anders aussieht. In Gaza-Stadt selbst gibt es keine kulturelle Infrastruktur, und die Schwierigkeiten beginnen in der Regel schon bei der Passage des Erez-Checkpoints, der sich, je nach Akzentverschiebung der israelisch-palästinensischen Beziehungen, von einer Stunde zur anderen schließen kann. Auch sonst kann sich Hall Amitin bei seiner Planung auf nichts verlassen, die Vorbereitung seines Projekts zieht sich mittlerweile schon zwei Jahre hin.

taz: Was für eine Organisation ist „World of Culture for Performing Arts“?

Mark Hall Amitin: Es ist ein Zusammenschluß von Regisseuren, Schauspielern und Theaterleuten aus Amerika, Schweden, Kanada, Frankreich und Israel. Finanzielle Unterstützung für konkrete Projekte bekommen wir zum Beispiel von Judith Malina, der Mitbegründerin des New Yorker Living Theater, oder Steve Buscemi, den man vor allem durch den Film „Fargo“ kennt. Wir wollen in Krisengebieten arbeiten und erreichen, daß Künstler sich kennenlernen und Kontakte entstehen. Krisengebiet bedeutet für mich auch, daß ich eines meiner nächsten Projekte in New York mit sexuell mißbrauchten Jugendlichen mache.

Wie sieht das Projekt im Gaza- Streifen aus?

Als ich 1995 damit anfing, veranstaltete ich Workshops mit Palästinensern. Ziel ist, ein Stück über die letzten hundert Jahre palästinensischer Geschichte zu erarbeiten. Dazu gehören die britische Okkupation, das ägyptische Protektorat und die israelische Okkupation. Der Text entsteht allmählich und basiert ausschließlich auf Geschichten, die palästinensische Großeltern, Onkel und Eltern sich erzählen. Im Gegensatz zu Europa oder Amerika existiert hier ja nur eine mündliche Überlieferung. Geschrieben wird das Stück, dem wir den Arbeitstitel „The Disposessed“ gegeben haben, von Khalid Abdula, einem der wichtigsten jungen palästinensischen Poeten.

Arbeiten Sie seither ununterbrochen am Gaza-Projekt?

Nein. Im Juli 1995 mußte ich unterbrechen, um finanzielle Angelegenheiten zu regeln. Danach war klar, daß wir Geld von der US-Botschaft in Israel bekommen würden. Mit der Ermordung Rabins änderte sich aber die politische Situation grundlegend. Wir haben also erst jetzt wieder mit Workshops und neuen Laiendarstellern begonnen. Der Text soll im Oktober fertig sein, dann proben wir in Gaza-Stadt, und im Dezember soll das Stück im Gaza-Streifen, dem Westjordanland und – wenn es klappt – auch in arabischen Zentren in Israel aufgeführt werden. Außerdem gibt es Interesse in Frankreich, Spanien und Deutschland.

Wie sieht die finanzielle Situation aus?

Ich benötige ungefähr 60.000 Dollar, und die Finanzierung steht, obwohl wir sehr früh entschieden haben, daß wir weder von der palästinensischen noch von der israelischen Regierung Geld nehmen, da wir politisch unabhängig bleiben wollen. Das Geld kommt unter anderem von Privatpersonen und -organisationen in Amerika, der Europäischen Union und der norwegischen Botschaft. Das sind neutrale Geldgeber, die ein Interesse daran haben, die kulturelle Entwicklung in den autonomen Palästinensergebieten anzustoßen.

Müssen Sie bei diesem Projekt nicht auch offen Stellung beziehen, ob Sie nun für oder gegen die Palästinenser sind?

Je nachdem, mit wem man zu tun hat, schwebt das als unausgesprochene Frage natürlich im Raum. Aber da mein Theater- Background das Living Theater ist und Julian Beck mein ästhetischer und philosophischer Lehrer war, gehört Konfrontation von vornherein zu meinem Selbstverständnis als Theatermensch. Im Living Theater geht man zum Beispiel auf die Straße und will, daß sich das Leben der Zuschauer durch das Theater verändert. Für mich selbst bedeutet das, daß ich mich in erster Linie als Kulturarbeiter und erst in zweiter als Künstler verstehe.

Hat man nicht gerade in den autonomen palästinensischen Gebieten das Problem, daß die Palästinenser sich durch derartige Kulturarbeit dominiert fühlen?

Das ist ein sehr großes Problem. Ich versuche gegenzusteuern, indem nicht ich ihnen einen fertigen Theatertext bringe, sondern sie selbst ihre Geschichte erzählen lasse. Es sind ihre Geschichten, nicht unsere. Ich versuche, den Rahmen so frei wie möglich zu gestalten, wozu auch gehört, daß ich das palästinensische Kulturministerium informiere, es aber nicht beteilige.

Mit welchen Schauspielern arbeiten Sie?

Mit Laiendarstellern, für die Theater etwas völlig Neues ist. In Palästina gibt es ja kein professionelles Theater. Die Laiendarsteller, mit denen ich arbeite, haben zum Teil während der Intifada erste Schritte hin zum Schaupiel gemacht und, als ich dann mein Projekt anbot, sofort diese Chance ergriffen.

Sie kommen mit einem pazifistischen Projekt in eine Region, die von Haß, Mißtrauen und Gewalt geprägt ist. Kann das überhaupt funktionieren, und kann es nicht sein, daß kriegerische Stärke im Moment sowohl für Israelis als auch Palästinenser überlebensnotwendig ist?

Zum Überleben gehört vielleicht grundsätzlich Aggression. Was allerdings gerade hier in Israel besonders deutlich wird: Aggression bedeutet nicht Töten und Blutvergießen. Was hier geschieht, wird von Haß gesteuert, und das hat nichts mit aggressivem Potential zu tun, das zum Überleben unter Umständen notwendig ist und an dessen Seite Vertrauen und Aufrichtigkeit treten müssen. Das aber genau fehlt hier in der Region und führt immer wieder zu Blutvergießen. Wenn ich zum Beispiel mit Laiendarstellern arbeite, geht es im ersten Moment auch darum, eine Vertrauensbasis herzustellen. Interview: Jürgen Berger