Von Folter mag Ben Ali nicht reden

■ Wegen Kritik an der Lage der Menschenrechte ist Tunesiens Präsident aus Frankreich ausgeladen worden

Paris (taz) – Zine El Abidine Ben Ali, tunesischer Präsident seit zehn Jahren und Anwärter auf einen Staatsbesuch in Frankreich seit knapp zwei Jahren, ist wieder einmal ausgeladen worden. Als Gründe für die dritte Verschiebung der Reise nannte ihm sein französischer Kollege Jacques Chirac am Telefon die vorgezogenen Neuwahlen im Juni.

Das klingt plausibel. Schließlich wollte Ben Ali am 5. und 6. Mai nicht nur Chirac treffen, sondern auch vor dem französischen Parlament sprechen. Das aber ist seit dem vergangenen Montag aufgelöst; die Minister befinden sich im Wahlkampf. Doch hinter den Verschiebungen des Besuchs bei der früheren Kolonialmacht und heute wichtigstem Handelspartner Tunesiens verbergen sich massive Verstimmungen. In deren Mittelpunkt steht die Situation der Menschenrechte in dem nordafrikanischen Land.

Seit Jacques Chirac Tunesien im Herbst 1995 wenige Monate nach seiner Wahl zum Präsidenten einen Antrittsbesuch erstattete, hat dort die Verfolgung von Oppositionellen – in der Regel unter dem Vorwand der „Islamistenbekämpfung“ – rapide zugenommen. In einem offenen Brief an Ben Ali schrieben im vergangenen September unabhängige Menschenrechtsorganisationen von „Tausenden von Individuen, die in ungerechten Prozessen wegen ihrer Meinung zu Gefängnis verurteilt wurden“, von „Folter in den Lokalen des Innenministeriums“, von der „Verfolgung der Familienangehörigen von Gefangenen“ und von „Todesfällen infolge der Folter“. Auch die „konsultative Menschenrechtskommission“, die dem Premierminister in Paris untersteht, machte sich diese Einschätzung zu eigen. Im November forderte sie die französische Regierung auf, „dringend“ für ein Ende der Folter und für Aufklärung über die Verantwortlichkeiten zu sorgen.

Auf derlei Kritik reagiert die tunesische Regierung empfindlich. Beschränkte sie sich bislang darauf, ihre Gegner im eigenen Land zu verfolgen, weitet sie neuerdings diese Aktivitäten nach Frankreich aus. Oppositionelle berichten von Einschüchterungen und Prügeleien, deren Auftraggeber sie in der tunesischen Botschaft in Paris vermuten.

Deutliches Zeichen der Verrohung in der tunesischen Diaspora ist der Rundbrief Les Masques – die Masken – der seit einigen Monaten in Frankreich kursiert und der taz vorliegt. Das anonym hergestellte Blättchen wird an Personen verschickt, die sich in Menschenrechtsgruppen um die Lage in Tunesien kümmern. Jede Ausgabe nimmt einen Oppositionellen mit ganz persönlichen, teils sexuellen, teils politischen „Enthüllungen“ ins Visier. Mit sichtbarem „Erfolg“: Sieben Tage nachdem das sechsseitige französischsprachige Blättchen Anfang März einen gewissen Ali Saidi „fertiggemacht“ hatte, wurde das Lokal seines „Demokratiekomitees“ in Evreux verwüstet. Am selben Tag, an dem der Schriftsteller Ahmed Manahi, der kritische Bücher über Ben Ali veröffentlicht hat, in Les Masques „demontiert“ wurde, schlugen ihn mehrere Männer vor seiner Wohnung bei Paris krankenhausreif. Die letzte Ausgabe legte dem in Paris lebenden Sprecher des Komitees für Grund- und Menschenrechte in Tunesien, Kemal Jendoubi, nahe, eine Lebensversicherung abzuschließen. Er will Anzeige erstatten.

Auch ausländische Beobachter werden an ihrer Arbeit gehindert. Eine Berichterstatterin von amnesty international erhielt Einreiseverbot. Ein Le Monde-Journalist wurde nach seinem Bericht über Menschenrechtsverletzungen in der tunesischen Zeitung Le temps als unerwünschte Person bezeichnet. Als die taz bei der tunesischen Botschaft in Paris die Menschenrechte ansprach, erhielt sie die knappe Auskunft: „Danke für Ihren Anruf.“ Anschließend legte der Pressesprecher auf.

Der Elysée-Palast, der öffentlich nicht von Menschenrechtsverletzungen in Tunesien spricht, bestreitet jetzt, daß Ben Ali ausgeladen wurde – Begründung: Der Besuch sei nie offiziell bestätigt worden. Die tunesischen Behörden, die bereits ein Treffen ihres Präsidenten mit Vertretern der 300.000 Tunesier in Frankreich organisiert hatten, müssen wieder einmal abblasen. Ihr um Sympathie werbendes großflächiges Plakat – Aufschrift: „Tunesien, das ist zuerst ein Lächeln“ – ist bereits von den Pariser Wänden verschwunden. Dorothea Hahn