Die wenigsten landeten im Betrieb

Nordrhein-Westfalen: Ausbildungsgarantie hilft längst nicht allen Jugendlichen. Nur wenig Zuwachs an Lehrstellen in Firmen. Grüne und Jusos bemängeln Konsensmodell  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Gegensätzlicher hätte die politische Bilanz der im vergangenen Jahr gemeinsam von der nordrhein-westfälischen SPD und der Wirtschaft gestarteten Ausbildungsinitiative kaum ausfallen können. Während Düsseldorfs Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) in der vergangenen Woche eine „positive Bilanz“ glaubte ziehen zu können und davon sprach, daß durch den Ausbildungskonsens „30 Prozent mehr Jugendliche als im letzten Quartal des Vorjahres“ einen betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden hätten, hagelte es von den Grünen und Jusos Kritik.

Die bisherigen Erfahrungen zeigten, so heißt es in einer gemeinsam von den NRW-Jusos und dem grünen Landesvorstand verfaßten Erklärung, daß das in NRW verfolgte Konsensmodell „dem Problem nicht gerecht wird“. Noch eine Spur schärfer wettert der linke sozialpolitische Sprecher der bündnisgrünen Landtagsfraktion, Daniel Kreutz, gegen die Initiative. Die „nutze allein den Arbeitgebern“. Weil die im Rahmen des auf fünf Jahre angelegten Projekts von einer Umlage verschont und mit „einer Flexibilisierung des Berufsschulunterrichts bedient“ würden, seien die Jugendlichen in Wahrheit die „Opfer“ dieser Konsenspolitik. Nahezu einstimmig forderte der grüne Parteitag die SPD am vergangenen Wochenende auf, den Konsens „aufzukündigen“.

Doch daran denken die NRW- Genossen nicht. Clement selbst betrachtet die Gemeinschaftsaktion mit der Wirtschaft nach wie vor als „richtigen Weg, um das Ausbildungsproblem auch langfristig zu lösen“. Demgegenüber setzen Grüne und Jusos in NRW auf eine gesetzliche Umlagefinanzierung zur Steigerung des Ausbildungsplätze.

Am 30. September wurde der bundesweit einmalige Ausbildungskonsens begründet. Er ist eine Gemeinschaftsaktion von Regierung, Arbeitsämtern und Unternehmensverbänden. Sie war mit dem Versprechen verbunden, jedem Ausbildungswilligen in Nordrhein-Westfalen eine Ausbildung zu garantieren. Durch die Initiative sollte die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Arbeitsämter und die gezielte Lehrstellensuche gefördert werden.

Schaut man sich genauer an, was sich seit der Geburtsstunde der Initiative tatsächlich getan hat, so ergibt sich ein Bild, daß zu Lobeshymnen ebensowenig Anlaß bietet wie zu Verdammungsurteilen. Am 30. September waren bei den Arbeitsämtern des Landes 7.918 Jugendliche als „unversorgt“ registriert. Die 15.000 Jugendlichen, die sich zu diesem Zeitpunkt in sogenannten Berufsvorbereitungsmaßnahmen („Warteschleifen“) befanden, hatten von dem Ausbildungskonsens zunächst nichts. Sie galten als „versorgt“. Von der Gruppe der „Nichtversorgten“ fanden bis zum Ende des Jahres 1.299 einen betrieblichen Ausbildungsplatz. Die von Clement verkündete 30prozentige Vermittlungssteigerung bezieht sich allein auf diese Zahl. Ein Jahr zuvor waren im gleichen Zeitraum nur 990 betriebliche Ausbildungsverträge zustande gekommen.

Ob die zusätzlichen Plätze aber tatsächlich der Initiative zuzuschreiben sind, weiß kein Mensch. Der Leiter der Berufsberatung im Bochumer Arbeitsamt, Bernhard Schmidt, ist sich zwar sicher, daß die Handwerkskammern durch die Initiative „eine Reihe von Bewerbern zusätzlich vermittelt haben“ — ähnlich äußern sich auch andere Arbeitsämter —, aber in der Statistik sind auch jene enthalten, die durch das übliche Geschäft der Berufsberater einen Ausbildungsplatz fanden. Insgesamt wertet Schmidt den Ausbildungskonsens dennoch „durchaus positiv, denn die Zusammenarbeit mit den Kammern hat sich verbessert“.

Die Gesamtsituation auf dem Ausbildungssektor sei aber nach wie vor kritisch. „Im Moment“, so Schmidt, „haben wir sogar weniger Stellen als im Vorjahr“. Das gilt keinsfalls nur für Bochum. Landesweit meldeten die Betriebe und Verwaltungen nur noch 95.408 Ausbildungsstellen, das ist ein Minus von 2,9 Prozent. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage liegt zur Zeit bei 13.077 — Tendenz steigend.

Diese Lücke zu schließen, haben die Macher des Ausbildungskonsenses versprochen: „Jeder junge Mensch in Nordrhein-Westfalen, der ausgebildet werden will, wird ausgebildet.“ Wurde dieses Versprechen mit Blick auf die „unversorgten Bewerber“ des letzten Jahres eingelöst? Die Antwort lautet Jein. Denn im Betrieb landeten die wenigsten von ihnen.

1.892 der knapp 8.000 Jugendlichen steckte die Arbeitsverwaltung zusätzlich in berufsvorbereitende Maßnahmen. 353 entschieden sich für einen weiteren Schulbesuch, und 590 suchten sich letztendlich auf eigene Faust einen Hilfsarbeiterjob. Weitere 1.995 weist die Statistik unter der Rubrik „Sonstiger Verbleib“ aus. Der größte Teil von ihnen meldete sich trotz mehrmaliger Anschreiben schlicht nicht mehr. Am Ende blieben 1.789 Jugendliche über, denen die Macher des Konsenses einen Ausbildungsplatz in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten verschafften. 45 Millionen Mark stellt dafür die Düsseldorfer Landesregierung zur Verfügung.

Wenn sich die betriebliche Unterversorgung in den nächsten Monaten nicht grundlegend ändert, könnten auf das Land bald dreistellige Millionenbeträge zukommen, um das Versprechen einzulösen.