Eine halbe Million Frauen wird jährlich nach Europa gelockt oder gezwungen. Andere fliehen freiwillig aus der Armut in die Prostitution. Eine EU-Konferenz will heute Empfehlungen für effektivere Maßnahmen gegen Schlepperbanden verabschieden

Eine halbe Million Frauen wird jährlich nach Europa gelockt oder gezwungen. Andere fliehen freiwillig aus der Armut in die Prostitution. Eine EU-Konferenz will heute Empfehlungen für effektivere Maßnahmen gegen Schlepperbanden verabschieden

Importstop für die Ware Frau

Gegen Frauenhandel sind sie alle, die Regierungen der Europäischen Union (EU). Wie man den Frauenhandel bekämpfen soll, darüber sind sie sich uneins. Die niederländische Regierung hat die zuständigen Minister und auch die regierungsunabhängigen Organisationen (NOGs) deshalb zu einer Tagung nach Den Haag gerufen, die morgen zu Ende geht. Hier soll ein Empfehlungskatalog für gemeinsame und effektive Maßnahmen erarbeitet werden.

Nach Schätzungen der EU- Kommission werden jährlich rund eine halbe Million Frauen in die EU gelockt oder verschleppt. Viele von ihnen werden zur Prostitution gezwungen. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich der Handel, vor allem mit Frauen aus Mittel- und Osteuropa, dramatisch ausgeweitet. Doch in den meisten Ländern konzentriert sich die Verfolgung auf die illegal eingereisten Frauen, nicht auf die Schlepper. Gerade die weitverbreitete Praxis, aufgegriffene Frauen sofort abzuschieben, erleichtert den Schlepperorganisationen das Geschäft. Länder wie Holland oder Belgien, die seit einiger Zeit einen anderen Weg gehen, fühlen sich allein gelassen. Die organisierten Banden weichen in die Nachbarländer aus und versorgen von dort den holländischen und belgischen Markt.

Die Regierung in Den Haag hat der Konferenz einen siebenseitigen Vorentwurf präsentiert, ausgearbeitet von regierungsunabhängigen Organisationen, die sich mit Migration und Ausbeutung von Frauen befassen. Im Kern fordern die NGOs härtere Strafen für die Schlepper und mehr Rechtssicherheit und juristischen Beistand für die betroffenen Frauen. Nur so könnten die Schlepperbanden wirksam verfolgt werden. Denn abgeschobene oder von Abschiebung bedrohte Frauen fallen als Kläger wie als Zeugen aus.

Als mögliches Modell zitiert die International Organization for Migration (IOM) das kleine Belgien. Illegal eingereiste und zur Prostitution gezwungene Frauen bekommen hier, wenn sie aufgegriffen werden, 45 Tage Bedenkzeit, ob sie als Kläger oder Zeugen gegen ihre Schlepper auftreten wollen. In dieser Zeit werden sie in geschützten Wohnungen untergebracht, erhalten Sozialhilfe, ärztlichen Beistand und juristische Beratung. Wenn sie sich dann zu einer Mitarbeit bei der Verfolgung der Schlepper entscheiden, können sie sogar eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis bekommen. Leider, vermerkt die IOM, werden auch in Belgien noch Frauen vorzeitig abgeschoben, weil die offizielle Linie von manchen Polizeistellen ignoriert wird. Ähnliche Probleme gebe es auch in Holland, wo das Parlament vor einiger Zeit vergleichbare Regelungen beschlossen hat.

Viele Schlepper locken vor allem afrikanische und asiatische Frauen mit Verträgen als Au-pair- Mädchen, Sprachstudentinnen oder Tänzerinnen nach Europa. Diese Verträge werden in der Regel auch für die Einreiseerlaubnis vorgelegt. Seit einiger Zeit prüfen belgische Behörden regelmäßig, ob die Verträge eingehalten oder ob die Frauen nicht mittlerweile zur Prostitution gezwungen werden. Die meisten EU-Länder sind von solchen Schritten noch weit entfernt. Das Problem der sexuellen Ausbeutung werde dadurch verschärft, meint die IOM, daß Prostitution als Schmuddelthema verdrängt werde. Und nach wie vor richtet sich nur in den wenigsten EU-Ländern, in Belgien, Holland und Großbritannien etwa, die Strafverfolgung gezielt gegen die Ausbeuter, die Zuhälter und Schlepper. Alois Berger, Brüssel