Mundpropaganda und Doctor-Shopping

MigrantInnen finden nur auf Umwegen geeignete medizinische Hilfe  ■ von Lisa Schönemann

Die für Krankenkassen teuerste Odyssee, die eine Migrantin in Hamburg unternehmen kann, ist die von einer Praxis zur anderen. Die Patientinnen wechseln mehrmals den Arzt, weil sie hoffen, durch dieses „Doctor-Shopping“doch noch den Ursachen ihrer Beschwerden auf die Spur zu kommen.

Warum die MigrantInnen oft nur auf Umwegen die richtige medizinische Hilfe erhalten, hat mehrere Gründe. Zuvörderst die Sprachbarriere. „Besonders ältere Frauen sind wegen der bestehenden Verständigungsschwierigkeiten völlig hilflos“, sagt Nebahat Güclü vom internationalen Frauenkulturzentrum INCI e.V. Und sie berichtet von einer türkischen Patientin, die vom Hausarzt an einen Internisten verwiesen und von dort zum Neurologen geschickt worden ist. Am Ende stand die 40jährige Frau ratlos vor einer ganzen Palette von Diagnosen: Litt sie nun an Epilepsie, an den Spätfolgen eines Unfalls oder schlicht an Verkalkung?

Zwar ist seit langem bekannt, daß eine effektive medizinische Versorgung der MigrantInnen an den Barrieren zwischen den Sprachen und Kulturen scheitert, dennoch gibt es für die rund 275.000 AusländerInnen in Hamburg noch immer keine medizinische Beratungseinrichtung. Nicht einmal ein Verzeichnis fremdsprachiger Ärzte. Nur in den Sammelunterkünften für AsylbewerberInnen kümmern sich die SozialarbeiterInnen um eine Übersetzung.

Alle anderen AusländerInnen in Hamburg müssen sich bei gesundheitlichen Problemen „an den Hausarzt an der Ecke wenden oder auf Mundpropaganda verlassen“, bedauert die Sprecherin der Gesundheitsbehörde, Tordis Batscheider. Zwar gibt es bei der Behörde Gesundheitslotsen als Wegweiser durch den Dschungel der Hamburger Krankenversorgung. Doch die sind nur wenige Stunden am Tag zu erreichen und ohnehin für alle ratsuchenden HamburgerInnen zuständig.

Schon deutsche PatientInnen finden bei psychosomatischen Beschwerden nur schwer fachkundige Hilfe, MigrantInnen stehen mit ihrem Problem vollends allein da. Zu gering ist der Informationsstand deutscher MedizinerInnen über psychosomatische Leiden bei MigrantInnen. Häufig ist das Krank-sein der AusländerInnen eine körperliche Antwort auf das „Sich-Fremd-Fühlen“, aber auch auf eine gewachsene Belastung durch schwierige Arbeits- und Wohnverhältnisse. Und die Probleme der Frauen mit dem Ausländerrecht oder den Ehemännern manifestieren sich oft in chronischen Magen-Darm-Erkrankungen oder Migräneattacken.

Nun stellte eine Tagung, die vom Büro des Hamburger Ausländerbeauftragten und der Uniklinik Eppendorf (UKE) ausgerichtet worden ist, Maßnahmen für eine migrantenorientierte Gesundheitsversorgung vor. So sollen Informationen über die kulturellen Hintergründe der PatientInnen bereits in die Ausbildung für die Pflegeberufe einfließen.

Außerdem plädierten die rund 120 TeilnehmerInnen dafür, in den Kliniken mehr ausländisches Personal einzustellen. Da aber allein im Bereich der staatlichen Krankenhäuser in naher Zukunft bis zu 1800 Arbeitsplätze wegfallen, dürfte diese Forderung ebenso schwer zu realisieren sein wie die Hoffnung, daß die niedergelassenen ÄrztInnen sich migrationsspezifische Kenntnisse aneignen.

Dabei wäre durch eine migrantenorientierte medizinische Versorgung Geld zu sparen. Nils-Jens Albrecht vom Projekt „Migrantenversorgung im UKE“ist davon überzeugt, daß eine effektivere medizinische Versorgung der MigrantInnen durchaus kostenneutral zu erreichen wäre. Jede einzelne Maßnahme für die ZuwanderInnen würde auf der anderen Seite Geld einsparen, Summen, die derzeit noch für überflüssige Doppeluntersuchungen und sinnloses Doctor-Shopping ausgegeben werden.

Zum Beleg berichtet Nils-Jens Albrecht von der Odyssee einer Patientin, die mit starken Unterleibsschmerzen in die Uniklinik eingeliefert worden war. Wegen Verständigungsproblemen konnte man ihr nicht spontan helfen. So wurden am zweiten Tag verschiedene Untersuchungen durchgeführt und sogar eine Computertomographie in Erwägung gezogen. Erst am fünften Tag des Klinikaufenthaltes stellte sich heraus, daß die Patientin jeweils zu Beginn ihrer Regelblutung unter Krämpfen litt, die Schmerzen diesmal jedoch stärker gewesen waren als sonst.

„Sie hätte nach wenigen Stunden entlassen werden können“, sagt Albrecht. Das ganze Prozedere habe 6000 Mark gekostet, für eine Stunde Dolmetscherleistung wären nur etwa 70 Mark angefallen.

Zwar hat das UKE ein migrantenspezifisches Projekt gegründet, das Projekt „Migrantenversorgung im UKE“, bei dem über 80 medizinisch geschulte DolmetscherInnen den rund 17 Prozent nicht-deutschen PatientInnen aus 90 Nationen beistehen. Aber: Längst nicht alle UKE-Ärzte nehmen diesen Dienst in Anspruch. Und: Das Universitätskrankenhaus Eppendorf ist das einzige unter rund zwanzig Krankenhäusern in Hamburg, das solch einen Dienst für kranke ZuwandererInnen eingerichtet hat.

Klein sind derzeit die Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung für MigrantInnen: Die Gesundheitsbehörde will eine Broschüre über Gesundheitsangebote (bis hin zum Schwangerschaftsabbruch) erstellen – vor allem in osteuropäischen Sprachen.

Gesundheitslotsen: 2801212 Mo, Mi, Fr: 10-12 Uhr, Mo und Mi: 14-16 Uhr