Zoff im ICC: CDU-Spitze unter Beschuß

■ Auf dem Landesparteitag der CDU wirft Basis Diepgen zögerliche Politik in der Großen Koalition vor. Dieser kontert mit Standpauke gegen eine „soziale Kälte“ und wirbt für „weltoffene“ Ausländerpolitik

In der CDU wächst die Unzufriedenheit mit der Politik der Führungsspitze. Auf dem 13. Landesparteitag der ChristdemokratInnen im ICC rebellierte die Parteibasis gegen die Große Koalition und drängte auf ein härteres innenpolitisches Durchgreifen in der Stadt. Wirtschaftspolitik und Ausländerpolitik standen im Mittelpunkt der Kontroversen.

Auf das Eröffnungsreferat des Landesvorsitzenden und Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen, der in seiner bundespolitisch geprägten Rede über die Bedeutung von innovativen Investitionen in Technologie und Kultur für den Arbeitsmarkt Berlin gesprochen hatte, folgte ein Reigen harscher Kritik an Diepgen und seiner Crew im Senat. Der Fraktionsvize im Abgeordnetenhaus, Jürgen Adler, forderte eine Senatsumbildung, da die SenatorInnen untätig der Krise begegneten.

Der Ostberliner Abgeordnete Fritz Niedergesäß verlangte eine Halbierung des Lehrgelds, soviel habe „ja im Osten kein Ingenieur verdient“. Die CDU, so Niedergesäß weiter, sei schuld an der Arbeitslosigkeit. „Wir haben eine Marktwirtschaft“, betonte Niedergesäß – und wurde vom Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky korrigiert: „eine soziale Marktwirtschaft“. Baustaatssekretär Ingo Schmitt forderte: „Treten wir aus dem Schattendasein der Großen Koalition heraus, wir müssen die geistige Führung an uns reißen.“ Und Dieter Hapel meinte, mit der Ausländerpolitik müßten „Antworten auf die drängenden Fragen der Bürger“ gefunden werden. Ovationen schließlich für Innensenator Jörg Schönbohm zeigten, welche Politik die CDU-Basis goutiert: restriktive Ausländerpolitik, nicht integrierende Sozialpolitik.

Da nützte auch die folgende Standpauke von Landowsky nichts, der die Delegierten darauf hinwies, die CDU sei die Partei von Unternehmern und Arbeitnehmern. Regierungschef Diepgen wurde noch deutlicher. Er sagte, auch das zu verabschiedende Papier zur Ausländerpolitik sei keine Abkehr von der weltoffenen Stadt. Außerdem habe er Sorge, daß in Kreisverbänden der „Gedanke der sozialen Kälte in den Vordergrund gerückt wird“. Ungeachtet der verteilten Rügen verabschiedete der Parteitag gegen den Willen der Führung einen Antrag, in dem Diepgen aufgefordert wird, auch gegen den Beschluß der SPD im Bundesrat für die Steuerreform der Bundesregierung zu stimmen. Damit war das Chaos perfekt: Zuvor schon waren die Delegierten nicht in der Lage, neben dem Leitantrag auch noch Leitlinien zu verabschieden. In den Foren konnte man sich nicht auf alle dafür nötigen Thesenpapiere einigen. Im Forum „Bürgerfreundliche Stadt – Zusammenleben in Frieden“, das sich trotz der moderierenden Intervention Schönbohms, der dies für verkürzt hielt, ausschließlich mit der Ausländerpolitik beschäftigte, wurde mit den härtesten Bandagen gekämpft. Die Ausländerbeauftragte Barbara John sagte, sie könne „keine Zeile“ des vorliegenden Papiers unterschreiben, es spiegele „mehr das kleinmütige Innenleben der Partei wider“, und man könne nicht „in ausgrenzender Weise Weltstadt sein“. Ariadne Ioakimidis, JU-Bundesvorstand, beurteilte das Papier knapp: „Es schürt Ängste, statt Antworten zu geben.“ Nach anderthalb Stunden Diskussion blieb John gegen das Papier, deshalb sprach ihr Dieter Hapel ab, eine Demokratin zu sein. Denn die Mehrheit des Forums fände sich in dem Papier wieder, womit er die Diskussion korrekt zusammenfaßte. Der Zehlendorfer Delegierte Drechsler befand stellvertretend: „Endlich sagt die CDU, was der Bürger auf dem Herzen hat.“ Barbara Junge