■ „Marianne“: Geist von 1789 an Frankreichs Kiosken
Die Symbole der Republik will Marianne zurückerobern: die Frauenbüste, die in allen Rathäusern steht, die Trikolore und die freie Debatte. Zu einem Preis von 10 Franc — halb soviel wie die übrigen Illustrierten — soll die gestern erstmals erschienene neue französische Wochenzeitung eine halbe Million Leser erobern — mehr als doppelt soviel wie die Konkurrenz. Und das mitten in einer Zeitungskrise, die längst auch die Wochenpresse erfaßt hat.
Wie das funktionieren soll, erklärt Chefredakteur Jean-François Kahn („JFK“) auf den ersten Seiten seines Blattes in einem „Glaubensbekenntnis“ voller Schlagwörter, die die gegenwärtige Debatte bestimmen: Gegen den „Pankapitalismus“ und den „oligarchischen Monopolismus“ will Kahn die „subversive Kraft der Idee“ und eine „dynamische und tolerante Laizität“. Kurz: Marianne soll eine echte liberale Zeitung im Geist der von 1789 sein. Die Themen der ersten Nummer des Blattes im Spiegel-Format sind allerdings bis auf die Titelgeschichte über krumme Geschäfte des Rüstungsschmiedes Serge Dassault in der übrigen Presse längst abgefeiert: z. B. die Parlamentsauflösung samt vorgezogenen Neuwahlen und der Mitterrandsche Abhörskandal. Wie die übrige französische Wochenpresse auch, hat Marianne kaum internationale Themen. Dafür dürfen sich ihre Leser auf sechs Seiten austoben. In der Erstausgabe verlangen sie bereits das Unmögliche: „Weder rechts noch links“ soll ihre Zeitung sein und „ganz anders denken“. Ganz anders, nämlich konsequent verschachtelt ist das Layout des Blattes: Auf dem Titel werden in fünf verschiedenen Schriftfarben auf fünf verschiedenen Hintergrundfarben fünf Themen angekündigt. Darüber zwängt sich die obligate Marianne-Figur mit Trikolore. 25 Prozent an Marianne hält Chefredakteur Kahn persönlich, zweitstärkster Partner der Gesellschaft, zu der Medienschaffende und ein Unterstützerkreis gehören, ist der marokkanische Geschäftsmann Robert Assad. Dritter Joker von Marianne ist die Werbung: Die 118seitige Erstausgabe hat bereits 31 Seiten davon. Dorothea Hahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen