Plagen, tagen etc.
: Der endlose Weg in die Mittagspause

■ Bescheidene Tagung: Der Verband deutscher Schriftsteller in Chemnitz

FDP-Chef Gerhardt schickte ein Grußtelegramm. Er freue sich, wenn aus der mit Erich Loest besprochenen Initiative – FDP-Politiker laden ihre Lieblingsautoren ein – eine „Tradition literarischer Salons“ entstehen könnte. Die Delegierten des Chemnitzer VS-Kongresses waren beglückt. Sie spürten: Wir sind noch nicht ganz vergessen. Wird nun also die FDP die kränkelnde Literatur retten?

Die heroischen Zeiten des Verbandes deutscher Schriftsteller sind lange vorbei. Es war 1969, als Heinrich Böll zur Gründung des VS das „Ende der Bescheidenheit“ proklamierte, als Willy Brandt den Dichtern seine Aufwartung machte, als Günter Grass und Martin Walser um den richtigen Weg in die Gewerkschaft stritten: damals, als die Intellektuellen noch in historischer Mission unterwegs waren. Heute hält man es wieder mit der Bescheidenheit. Aus den Intellektuellen sind brave Medienarbeiter geworden, die keiner mehr kennt: So radikal hätte man sich die Anverwandlung an die Arbeiterklasse damals nicht vorgestellt. Martin Walser schaute zwar aus alter Anhänglichkeit vorbei, saß aber nur für eine Stunde still in der letzten Reihe: ein Höflichkeitsbesuch.

Statt hochfliegender Ideale herrschen der Terror der Tagesordnung und allgemeine Ratlosigkeit. Was soll man noch wollen – außer weniger schlechten Tarifen? Worauf darf man noch hoffen – außer auf die Beibehaltung der Buchpreisbindung und ein europäisches Copyright? Welche Gründe gibt es, in den VS als Teil der IG Medien einzutreten – außer dem Rechtsschutz, der damit verbunden ist? Und was könnte wichtiger sein als das pünktliche Eintreten in die Mittagspause?

Nur einmal gerieten die Delegierten auf ihrem „endlosen Weg zum Hause des Nachbarn“ (so das Kongreßmotto) in echte Erregung, standen auf, um sich in Demutsgesten zu üben oder aber wie Erasmus Schöfer zu bekennen: „Ich bin ganz schön zornig.“ Das geschah nach dem Grundsatzreferat des Bremer Germanisten Wolfgang Emmerich, der den Autoren die opportune „Bescheidenheit“ ins Heft diktierte. Intellektuelle hätten die Pflicht, sich überall dort einzumischen, „wo es stinkt“, für Menschenrechte und Meinungsfreiheit einzutreten, sich ansonsten aber klar zu sein, daß sie nicht klüger seien als der vielzitierte Bäckermeister von nebenan. Vor Selbstgewißheit, Sinnstiftung und Prophetentum sollten sie sich nach den Erfahrungen des Jahrhunderts und dem „Desaster der sinnstiftenden Klasse“ ein für allemal hüten. „Intellektuelle können bescheidene Beiträge zur Ausbreitung der Banalität des Guten leisten, nicht weniger, nicht mehr“, sagte Emmerich.

Das war aber doch manchen ein bißchen zuwenig. Sicher: „Sinnstiftung“ ist ein böses Wort, und die Rede vom „Utopieverlust“ ist ziemlich abgedroschen. Doch wer, wenn nicht die Intellektuellen, hat wenigstens gelegentlich die Chance, jenseits von politischen oder ökonomischen Sachzwängen neuen Perspektiven nachzuspüren? Da mußte doch tatsächlich Wolfgang Thierse auftreten, um den verzagten Autoren ein bißchen Mut zu machen. Er rief der Versammlung zu, es sei „Zeit, sich als Bürger wieder ernster zu nehmen“. Das vielberedete „Schweigen der Intellektuellen“ hätte seine Ursache vor allem im Verschwinden der demokratischen Öffentlichkeit, aber „ein bißchen müssen Sie sich auch selbst Gehör verschaffen“.

Die lähmende Diskrepanz zwischen den epochalen „Herausforderungen“ und den Mühen der Tagesordnung machte der Vortrag des ostdeutschen Autors Hans Müncheberg offensichtlich. Sein Rundumschlag unter dem beliebten Titel „Globalisierung“ versammelte so ziemlich alle Weltübel vom Ozonloch bis zum Privatfernsehen, von der Macht der Banken bis zur Machtlosigkeit der Literatur. Da konnten die Delegierten nur traurig mit den Köpfen nicken: Ja, so ist es. Aber was soll man tun? Wie läßt sich die „globale Krise“ auf die organisatorische Ebene des konkret Politischen zurückbeziehen? Soll man vielleicht eine Resolution gegen das Ansteigen des Meeresspiegels verfassen?

Ein von Müncheberg vorgelegter „Chemnitzer Appell“ versuchte etwas Ähnliches. Der Aufruf gegen eine „Politik der Umverteilung des nationalen Reichtums von oben nach unten“ und gegen Umweltverschmutzung wurde aber erst angenommen, nachdem die Bundesregierung als indirekter Adressat gestrichen war. Aus der parteipolitischen Auseinandersetzung muß der VS sich strikt heraushalten – das war die Linie von Erich Loest, und der neue Vorsitzende Fred Breinersdorfer sieht es genauso.

Mit der Wahl des Juristen, Krimi- und Fernsehautors Breinersdorfer hat der VS nun einen Vorsitzenden, der vor Tatkraft und Zuversicht fast zu platzen scheint (siehe taz vom 28. 4.). Nach den Jahren der „Literarisierung“ unter der Präsidentschaft Erich Loests, dessen größter Erfolg die „Aussöhnung mit Polen“ war (der VS organisierte unzählige deutsch- polnische Lesungen), scheinen unter Breinersdorfer die Jahre des Pragmatismus zu folgen. Er kündigte an, im VS eine Agentur einzurichten, die Autoren bei Vertragsabschlüssen helfen soll. Ein „Literaturrat“ aus prominenten Autoren und die Vergabe eines eigenen Preises sollen der Literatur zu größerer Publizität verhelfen. Und es gelte, den Verband zu verjüngen und die Vorbehalte gegenüber den neuen Medien abzubauen. „Der Zustand des VS ist gut“, meinte Breinersdorfer. Das allerdings scheint doch ziemlich übertrieben. Die Menge der in Chemnitz überreichten Blumensträuße und Streicheleinheiten kann dafür ja wohl nicht der Maßstab sein. Jörg Magenau