Chemiewaffen von der Erde verbannt

Nach langen Verhandlungen tritt heute das internationale Verbot chemischer Massenvernichtungsmittel in Kraft. Eine UNO-Behörde soll die Einhaltung des Abkommens überwachen  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Was lange währt, wird endlich gut. Über 27 Jahre nach Beginn der ersten Verhandlungsrunde in der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz tritt heute das Abkommen über das Verbot von Chemiewaffen in Kraft. Das Abkommen ist der bislang größte Erfolg multilateraler Rüstungskontroll- und Abrüstungsbemühungen. Nach dem Genfer Giftgasprotokoll aus dem Jahre 1925 zur Ächtung des Einsatzes von Chemiewaffen werden mit dem neuen Abkommen auch die Entwicklung, Produktion und Lagerung sowie der Erwerb und die Weitergabe chemischer Massenvernichtungsmittel verboten. Bestehende Giftgasarsenale und Produktionsanlagen müssen bis spätestens 2.007 vernichtet werden.

Zur Überwachung der Einhaltung des Verbots (Verifikation) sieht das Abkommen umfangreiche und weitreichende Kontrollen und Inspektionen von Militäranlagen und von zivilen Chemiefabriken vor. Für die Durchführung der Überwachungsmaßnahmen wurde eigens eine neue UNO-Behörde in Den Haag eingerichtet, die am kommenden Dienstag von UNO- Generalsekretär Kofi Annan eingeweiht wird. Neben regelmäßigen Routineinspektionen in allen Vertragsstaaten kann diese Behörde auch unangekündigte Verdachtskontrollen durchführen.

Darüber hinaus regelt der Vertrag den Export potentiell waffentauglicher Grundsubstanzen, die für die Produktion ziviler Güter benötigt werden. Die Weitergabe chemischer Substanzen und Produktionstechnologie an Staaten, die das Abkommen nicht ratifizieren, kann künftig eingeschränkt werden. Gegen Vertragsstaaten, die nachweislich gegen das Abkommen verstoßen haben, können weitreichende Sanktionen verhängt werden.

Der bereits im September 1992 von der UNO-Abrüstungskonferenz verabschiedete Chemiewaffenvertrag wurde seitdem zwar von 164 der 186 UNO-Staaten unterzeichnet. Doch Voraussetzung für sein Inkrafttreten war die völkerrechtlich verbindliche Ratifizierung durch die Parlamente von mindestens 60 Ländern. Diese Voraussetzung war erst Anfang dieses Jahres erfüllt. Nur Länder, die ratifiziert haben, können am nächsten Montag in Den Haag die Zusammensetzung des 31köpfigen Exekutivausschusses der Den Haager Überwachungsbehörde bestimmen und selbst Mitglied in diesem Gremium werden. Unter diesem Druck ratifizierte als 68. Parlament vergangene Woche auch der US-Senat den Vertrag.

Moskau fordert höhere Finanzhilfen

Mit rund 40.000 Tonnen verfügen die USA nach Rußland (50.000 Tonnen) über das zweitgrößte Giftgasarsenal der Erde. Das russische Parlament, die Duma, verweigerte am vergangenen Freitag erneut die Ratifizierung des Vertrages mit Hinweis auf die Kosten für eine umweltverträgliche Vernichtung der zu Zeiten der Sowjetunion angelegten C-Waffen-Arsenale.

Experten veranschlagen diese Kosten auf rund fünf Milliarden US-Dollar. In einem Schreiben an alle anderen Unterzeichnerstaaten bekundete die Duma zwar die Absicht, den Vertrag noch vor Ende dieses Jahres zu ratifizieren, forderte zugleich aber eine „deutliche Erhöhung“ der internationalen Finanzhilfe für die Vernichtung der russischen Giftgasbestände. Irak, das zumindest während der beiden Golfkriege nachweislich über C-Waffen verfügte und diese auch einsetzte, lehnt das Abkommen ebenso ab wie Syrien, Libyen und Nord-Korea. Diese drei Länder werden von einigen westlichen Regierungen ebenfalls des Besitzes oder zumindest der Entwicklung von C-Waffen verdächtigt.

Das Abkommen weist allerdings eine bedenkliche Lücke auf: Die Vernichtung von Giftgasbeständen, die sich derzeit nicht auf dem Territorium oder in den Hoheitsgewässern des Herstellerstaates befinden, blieb auf russischen Wunsch hin ungeregelt. Die Regierung in Moskau befürchtete, eine vertragliche Regelung hätte sich am Verursacherprinzip orientiert und Rußland die Hauptverantwortung für die kostspielige Bergung und Vernichtung von bis zu 300.000 Tonnen Giftgas auferlegt. Diese Menge hatte die Sowjetunion 1947 in der Ostsee versenkt.

Auf die Bundesrepublik Deutschland wäre bei einer vertraglichen Regelung dieser Frage zumindest eine Mitverantwortung zugekommen. Denn ein großer Teil der in der Ostsee versenkten Giftgase stammt ursprünglich aus den umfangreichen Beständen von Hitlers Wehrmacht. Sie wurden 1945 von der Roten Armee und den Truppen der anderen drei Siegermächte 1945 abtransportiert.

Deshalb gab die Bonner Bundesregierung, die sich bei den Verhandlungen der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz zumindest ab Mitte der 80er Jahre aktiv und zeitweise im Konflikt mit dem Bündnispartner USA für das Zustandekommen eines lückenlosen C-Waffen-Verbots engagierte, diesem Wunsch Moskaus nach einer Ausnahme gerne nach.

Das Giftgas in der Ostsee ist eine ökologische Zeitbombe. Die Stahlbehälter rosten in dem salzhaltigen Meerwasser durch. Giftgase aus undichten Behältern sind nach Ansicht von Experten verantwortlich für die krebsartigen Geschwülste bei Fischen sowie Verbrennungen und Ausschlagskrankheiten bei Badegästen, zu denen es bereits Ende der 80er Jahre an Stränden Dänemarks und der damaligen DDR kam.