Japan schwebt geschickter

Magnetbahnpläne werden nicht so verbissen verfolgt wie in Deutschland. Bahnchef Dürr wollte in Fernost Lehren für den Transrapid ziehen  ■ Aus Yamanashi Georg Blume

Der Transrapid zwischen Berlin und Hamburg soll schweben, wie es nach Vorlage der jüngsten Wirtschaftlichkeitsstudie aussieht, um jeden Preis. Wie man ein umstrittenes Magnetbahnprojekt geschickt aus der öffentlichen Debatte hält, konnte kürzlich Noch-Bahnchef Heinz Dürr in Japan beobachten, wo die Magnetbahn Maglev zwischen Tokio und Osaka gebaut werden soll.

Im November 1992 war Heinz Dürr zum erstenmal in seiner Funktion als Bahn-Chef in Japan. „Die Japaner wissen, was wir in Deutschland machen müssen“, verkündete Dürr damals mit Blick auf die bevorstehende Privatisierung der Bundesbahn. Die Vision stimmte: Inzwischen hat sich das japanische Privatisierungsmodell der Bahn, Anfang der neunziger Jahre noch einmalig in der Welt, weitgehend nach Dürrs Wünschen in Deutschland durchgesetzt.

Daß sich in Tokio, der Stadt mit dem höchsten Bahnverkehrsaufkommen in der Welt, Signale für die deutsche Verkehrspolitik setzen lassen, hat Dürr bis heute nicht vergessen. In Bonn stehen während seines Besuchs wichtige Entscheidungen bevor: Dort soll eine neue Wirtschaftlichkeitsrechnung den Transrapid zwischen Hamburg und Berlin schönrechnen. Ohne es auszusprechen, hat der Bahn-Chef die Botschaft parat: Japan – das Land, in dem die Schwebebahn außerhalb Deutschlands noch eine Zukunft hat.

Wie gut, daß vor allem die Gegner des Transrapid von Japan nichts wissen. Als der Spiegel Ende März seine Großattacke auf das „letzte Fossil des Erfinder-Zeitalters“ reitet, stimmt in dem Bericht so gut wie alles, nur die Angaben über Japan nicht. Niemand, nur der Spiegel, behauptet etwa, daß der japanische Schwebezug schon im Jahr 2000 zwischen Tokio und Osaka fahren soll. Zehn Jahre mehr werden in jedem Fall vergehen. Solche Wissensvorsprünge können Dürr daheim nützlich sein.

Die Suche nach Visionen führt den Bahn-Chef in die Berge von Okutama westlich der japanischen Hauptstadt. Die Fahrt ab Tokio dauert eineinhalb Stunden. Das Ziel der Reise, die 18 Kilometer lange Teststrecke für den Maglev, liegt an den grünen Weinhängen der Provinz Yamanashi, über die bis zu seinem Tod im Jahr 1995 der legendäre Pate der japanischen Regierungspartei, Shin Kanemaru, mit versteckter Hand regierte. Kanemarus Einfluß hat es die attraktive Bergregion zu verdanken, daß Japans letztes großes High-Tech- Projekt der 90er Jahre hier gebaut wurde. Der blau-weiße Maglev, bis heute mit 517 Stundenkilometern der schnellste Zug der Welt, ist gemacht wie für eine Postkarte: Vor den imposanten, schneebedeckten Nordhängen des Fudschijamas erhebt sich eine kuppelförmige Eisenbahnbrücke, über die der fliegende Zug demnächst sogar mit 550 Stundenkilometer huschen soll. Die Teststrecke des deutschen Transrapid im Emsland bietet nichts Vergleichbares. Auch sonst gibt es zwischen Transrapid und Maglev viele Unterschiede: „Die Magnetfahrsysteme sind grundverschieden“, erklärt der Maglev- Entwickler Hiroshi Nakashima in Yamanashi. Weil die Erdbebengefahr in Japan größer sei, hänge der Maglev zehn Zentimeter über der Fahrbahn, während der Transrapid nur einen Zentimeter über der Trasse schwebe. Das japanische System sei deshalb aufwendiger, aber auch leichter und schneller. Höflich betont Nakashima: „Der Transrapid ist ein guter Rivale.“

In Wirklichkeit sind japanische und deutsche Magnetbauer seit Jahrzehnten verfeindet, und jede Seite verunglimpft das System der anderen. Der Einweihung der japanischen Maglev-Teststrecke Anfang April waren alle geladenen deutschen Gäste ferngeblieben. Um so vorsichtiger muß der Besucher Dürr agieren. Tatsächlich denkt der Bahn-Chef jedoch einen Schritt weiter: „Ich würde begrüßen, wenn es zwischen dem Transrapid-Konsortium in Deutschland und der Zentraljapanischen Eisenbahn als Hauptträger des Maglev zu einer engeren Zusammenarbeit kommen würde.“ Ihm schwant, daß die Magnetbahnbauer beider Länder nur zusammen überleben können. Soweit begreift es auch Nakashima: „Wenn die Deutschen den Transrapid aufgeben, wird es für uns ganz schwer, allein weiterzumachen.“

Alles in allem wird der Maglev, für dessen kommerziellen Betrieb es bislang keine Kostenvoranschläge gibt, noch teurer sein als der Transrapid. Sein Vorteil: Die geplante Strecke Tokio–Osaka ist mit täglich 360.000 Fahrgästen die meistbefahrene Schnellbahnstrecke der Welt, zwischen Hamburg und Berlin verkehren derzeit kaum mehr als 4.000 Menschen täglich mit der Bahn. Wenn es überhaupt eine rentable Strecke für den Magnetschwebebahnbetrieb gibt, dann führt sie durch Yamanashi. Entsprechend anders sehen die Finanzierungspläne aus: Während Bonn den Löwenanteil der Transrapid-Kosten tragen soll, ist die japanische Regierung nur mit 15 Prozent der Kosten an dem Maglev-Projekt beteiligt. Den größten Teil der zwischen 1990 und 1999 veranschlagten Entwicklungskosten von 4,5 Milliarden Mark trägt die Zentraljapanische Eisenbahn mit 65 Prozent. Über eine Beteiligung des Forschungsinstituts RTRI tragen die übrigen regionalen Privatbahngesellschaften und einige Großkonzerne weitere 15 Prozent. Da die Bahnen in Japan seit 1990 Gewinne über jährlich annähernd drei Milliarden Mark abwerfen, sollen sie bei einer kommerziellen Streckenlegung die Hauptkosten für die Magnetbahn Maglev tragen.

Das ist der Punkt, an dem sich Dürr in die deutsche Debatte einklinkt. „Wenn die anderen (den Transrapid, d. Red.) nicht wollen“, holt der Bahn-Chef gegen das Zögern bei der Industrie in Deutschland aus, „dann muß die Bahn halt ran.“ Inzwischen ist die Bahn dran: Nach dem Ausstieg der Baukonzerne Holzmann, Hochtief sowie Bilfinger und Berger aus dem Magnetbahnkonsortium liegt das Projekt federführend beim Bahnunternehmen. Dabei war Dürr derjenige, der 1994 warnend festgestellt hatte: „Verkehrspolitisch brauchen wir den Transrapid nicht.“

Das japanische Beispiel ist komplizierter, als es von weitem erscheint. Anders als in Deutschland, wo die Transrapid-Lobby einen Anstieg der Fahrgastzahlen zwischen Hamburg und Berlin von jährlich 1,5 Millionen auf 11,4 bis 15,2 Millionen voraussagte, wird in Japan nicht mit falschen Zahlen gespielt. „Uns fehlt zur Zeit die steigende Nachfrage auf der alten Schnellbahnstrecke Tokio–Osaka“, räumt der Sprecher der Zentraljapanischen Eisenbahn, Haruo Goto, in Yamanashi ein. „Den richtigen Zeitpunkt für das Maglev-Projekt können wir deshalb heute nicht voraussagen.“

Anders als in Deutschland spricht man in Japan auch nicht von zukünftigen Exportaufträgen für den Maglev. Die kann aus japanischer Sicht allenfalls der langerprobte Räderschnellzug Shinkansen einheimsen. Ebensowenig macht sich die Industrie Illusionen über die Intentionen der Regierung: „Der Staatshaushalt ist knapp bemessen, und auf der Prioritätenliste für das 21. Jahrhundert steht der Maglev derzeit nicht weit oben“, konzediert Goto. Dennoch glauben er und die Forscher der Zentraljapanischen Eisenbahn, daß die Magnetbahn einen „technologischen Durchbruch“ verkörpere. „Wir müssen abwarten, bis die Nachfrage soweit ist“, resümiert der Eisenbahner.

Vielleicht ist es dieser pragmatische Ton in der japanischen Magnetbahn-Debatte, den Bahn- Chef Dürr daheim einklagen wollte. Das Für und Wider des Transrapids ist ausdiskutiert – warum hätte man nicht wie die Japaner auf Abwarten setzen sollen? Doch soviel asiatische Gelassenheit war offensichtlich nicht ins Bonner Verkehrsministerium und ins Transrapid-Konsortium importierbar. Daß die Japaner es wie bei der Bahn-Privatisierung besser wissen, hat Dürr nicht gesagt. Aber er hätte sagen können, daß die Japaner besser wissen, was sie nicht können.