Anhaltender Applaus für Roman H.

■ Eine Rede eint die Nation. Nur Quertreiber Heiner Geißler erinnert daran, daß Reformen ihre Zeit brauchen

Berlin (taz) – Schon wenige Stunden nach dem Auftritt des Bundespräsidenten im Berliner Hotel Adlon begannen Politiker und Lobbyisten sowie das Gros der Medien, die Rede Roman Herzogs in ihrem Sinne zu vereinnahmen. Während die meisten Tageszeitungen die Ansprache wohlwollend kommentierten (Bild: „Marsch geblasen“), forderte der SPD-Bundestagsabgeordnete Freimut Duve eine „schnelle Umsetzung der angemahnten Reformen“. Am besten würden dazu „vorgezogene Neuwahlen“ beitragen, um so einen „Schlußstrich zu ziehen“ unter die Kanzlerschaft Helmut Kohls: „Der Punkt ist erreicht“, machte sich Duve Luft, „über so etwas gemeinsam nachzudenken.“

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer interpretierte die Herzog-Ansprache – nachdem „die Kanzlergespräche nicht erfolgreich“ gewesen wären – nach Arbeitnehmerart und brachte einmal mehr ein Bündnis für Arbeit ins Gespräch.

Politiker der Bonner Koalitionsparteien forderten ebenfalls Konsequenzen aus der präsidentiellen Mahnung. Der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt empfand – wie zu erwarten war – die Rede als „Wegweiser in die Zukunft“, der alle „zum Handeln antreiben“ solle. Herzog habe den „Kern des deutschen Dilemmas“ angesprochen – „eigene Verzagtheit und mangelnde Veränderungsbereitschaft“. Warnend teilte Hermann-Josef Arentz, Vizevorsitzender der Christdemokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), mit, die Bekundungen des Bundespräsidenten dürften nun nicht „totgelobt“ werden. Nicht gemeint hat er damit Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP). Der Liberale wies nüchtern auf die „Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat“ hin: „Die Rede, die in ihrem Ziel beherzigenswert ist“, ändere an ihnen nichts.

Noch weniger ließ sich der stellvertretende Bundestagsfraktionschef der CDU/CSU, Heiner Geißler, von Herzogs Mahnungen beeindrucken: „Die Deutschen haben nun einmal eine große Harmoniesehnsucht. Aber Politik besteht nun einmal aus Konflikt und Auseinandersetzung.“ Es gehe nicht darum, daß „irgend etwas gemacht wird, sondern etwas Sinnvolles“. Im Hinblick auf den Streit um eine reformierte Steuerpolitik sagte Geißler im Interview mit der Berliner Morgenpost: „Wenn eine Steuerreform, die diesen Namen verdient, nicht im Hauruckverfahren geht, muß man ihr mehr Zeit lassen. So ist nun einmal das demokratische Verfahren.“ Jan Feddersen

Kommentar Seite 10