„Bei mir gibt keine strahlenden Helden mehr“

■ Der russische Regisseur Sergej Bodrov über Leo Tolstoj und seinen Film Gefangen im Kaukasus

Über einen Mangel an Vorurteilen können sich Kaukasier nicht beklagen. Tschetschenen etwa werden mit Vorliebe als stolze Partisanen, Banditen oder Drogendealer tituliert. Der russische Regisseur Sergej Bodrov hat nun mit Gefangen im Kaukasus einen Film gedreht, der sich solchen kurzlebigen Feindbildern entgegenstemmt. Basierend auf einem Märchen von Leo Tolstoj wird hier die zeitlose Geschichte vom Fremden erzählt, die seinen Schrecken verliert, sobald man den Mut aufbringt, die Scheuklappen wegzuschmeißen.

Zwei russische Soldaten werden in einem tschetschenischen Dorf gefangengehalten. Sie sollen gegen den Sohn des Dorfpatriarchen ausgetauscht werden, der in der feindlichen Festung als Geisel sitzt. Allmählich freunden sich Sascha und Wanja mit ihren Entführern an. Besonders Dina, die kleine Tochter des Dorfchefs, schließen sie ins Herz. Doch ihre Fluchtpläne geben sie nicht auf.

Trotz betont schöner Bilder läßt Gefangen im Kaukasus, der mit Oscar-Nominierungen und einen Publikumspreis in Cannes internationale Beachtung fand, den Krieg und den Tod nicht vergessen. Der Haß zwischen den verfeindeten Völkern scheint unüberwindlich. Am Ende aber läßt Bodrov, der in Moskau und den USA lebt, in einem magisch-märchenhaften Augenblick die Menschlichkeit über die Sinnlosigkeit der Rache siegen.

taz:Erzählt der Film etwas Neues über den tschetschenisch-russischen Konflikt?

Sergej Bodrov: Nein, es ist eine allgemeingültige Geschichte, über Menschen und über den Krieg. Tolstoj hat das Märchen vor 150 Jahren geschrieben, und nichts hat sich seitdem geändert. Die Leute sind immer noch so dumm, Kriege zu führen, ob im Kaukasus oder in Sri Lanka.

Wie haben Sie den Stoff bearbeitet?

Tolstoj bezieht eine eindeutig pro-russische Position. Ich wollte die Geschichte menschlicher erzählen und keine der beiden Seiten verurteilen. Auch gibt es bei mir keinen strahlenden Helden mehr. Es kam mir beim Drehbuch auf eine bestimmte Mischung aus Humor und Tragik an, die sich bei Tolstoj nicht findet.

Sie zeigen Menschen, die sich bewußt einer traditionellen Kultur verpflichtet sehen. Ist das ein Teil des Märchens oder Realität?

Das dagestanische Dorf Rechi, in dem wir gedreht haben, ist wirklich ziemlich weit weg von der Zivilisation. Es gibt zum Beispiel nur selten Strom. Selbst wenn die Leute ihr Leben ändern wollten, hätten sie keine Chance dazu.

Dann können sie den Film gar nicht sehen?

Doch, wir haben ihnen Video-Bänder geschickt.

Was kann ein solches Märchen über den Krieg aussagen?

Ich wollte ja keinen Kriegsfilm drehen, in dem Blut spritzt und Köpfe rollen. Ich wollte mit Gefangen im Kaukasus vielmehr zeigen, wie schön es im Kaukasus ist. Trotzdem hören die Leute nicht auf, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Ist es nicht seltsam?

Barbora Paluskova Abaton