„Das irdische Leben hat ein Ende“

■ LehrerInnen klagen über ihre Gesundheit und segnen die Gewerkschafts-Proteste ab

Gackernde Frauen in den ersten Reihen, schwungvoll singende LehrerInnen auf der Bühne sowie unermüdlich trampelnde Füße und klatschende Hände: Sie sahen frisch und lebendig aus, die fast 1.600 Bremer LehrerInnen bei ihrer gestrigen Personalversammlung in der Bremer Glocke. Dabei malten sie dramatische Gesundheitszustände an die Wand. Zur angesetzten Debatte über die geplante Arbeitszeiterhöhung und den für heute angekündigten Streiktag fiel den versammelten LehrerInnen vor allem „Angina Pectoris“, „akuter Knieverschleiß“und „verelendende Vergreisung“ein.

Der Song „Forever Young“stimmte die LehrerInnen schon im Foyer der Glocke auf die kommende Debatte ein. Sie kamen zu hunderten, sie, denen „zu Unrecht von der Presse vorgeworfen wird, Faulenzer zu sein,“machte gleich der erste Wortbeitrag eines Lehrers klar. Schließlich seien die LehrerInnen schon heute überlastet. Die vom Senat beschlossenen zwei zusätzlichen Pflichtstunden würden deshalb die „Belastungsgrenze überschreiten“, sagte der Lehrer. Lehrer-Körper würden sich ja selbst nach den Ferien nicht mehr „richtig regeneriern. Geht euch das nicht auch so“, fragte er aufrührerisch in die Runde und forderte: „Wir müssen jetzt einfach an unsere Gesundheit denken, endlich aufstehen und dafür kämpfen.“

Da trommelten die Hände und Füße im Saal, und eine zweite Rednerin schoß gleich eine weitere Selbsterfahrungs-Geschichte nach: Nachdem sich ihr Kollegium bei einem Protesttag im März als Greise und Kranke verkleidet hätte – um so symbolisch die Vergreisung und Belastung der Lehrkräfte durch die drohende Arbeitszeiterhöhung samt fehlender neuer Stellen deutlich zu machen – sei Erschreckendes geschehen: Die LehrerInnen seien danach tatsächlich erkrankt – und hätten sich Halsentzündungen und einen Knieverschleiß eingefangen. Das Publikum bedankte sich für den Beitrag mit rauschendem Beifall.

Munter wie junge Backfische stimmten die LehrerInnen dagegen zwischen den einzelnen Wortbeiträgen ihre Lieder an. Sie sangen vom drohendem Lehrertod (“Bald werden nur noch du und ich übrig sein“) und über ihre Gesundheit (“Trink noch ein Glas Doppelherz“). Die Hüften wackelten lebendig im Takt, die Zungen wurden ausgestreckt und das Publikum quitschte vor Vergnügen ob so viel heiterer Geselligkeit.

Daß Erika Bosecker vom Personalrat den „bildungspolitischen Kahlschlag“der Bildungssenatorin geißelte und über „soziales Konfliktpotential“bei Kindern und Jugendlichen wegen fehlender neuer LehrerInnen sprach, ging im Verlauf der Reden immer mehr unter. „Wir müssen jetzt auch mal an uns denken“, machte ein Lehrer von der Gesamtschule Mitte klar, „und nicht an die Schülerinteressen. Wir sind jetzt die Hauptpersonen und haben viel zu lange stillgehalten“, rief er in die Menge. „Das irdische Leben ist begrenzt, bisher wart ihr ja alle eher apathisch. Aber mit den Belastungen, die uns von der Politik aufgedrückt werden, muß endlich mal Schluß sein“, sagte er und ging zum Schlußappell über: „Leitet Eure ureigenen Ängste von innen nach außen und wandelt sie in Wut um. Das wird euch stark machen,“schloß er und verließ das Podium mit einem brüchigen „Ich danke Euch allen“.

Da hatten sich viele seiner Vorredner schon mit einem mutigeren: „Wir sehen uns morgen“(beim Streik) verabschiedet und waren entschlossen vom Podium gerannt, hatten gar die künftige Verweigerung jeglicher „freiwilliger Mehrbeit“wie Klassenfahrten, Projektwochen oder Gremienarbeit verlangt. Das segnete die Mehrheit der nach zwei Stunden recht aufgeheizten Menge tatsächlich ab. Auch an Protestaktionen der Gewerkschaft wolle man sich beteiligen und gar die Möglichkeit eines unbefristeten Streiks von der Gewerkschaft prüfen lassen.

Und so hoben die sich selbst als Kranke und Greise titulierten LehrerInnen entschlossen ihre Hände, segneten die gleichlautenden Anträge ab und rauschten geschlossen von dannen – mit der Abschiedsstrophe von Herbert Grönemeyer im Ohr: „Lehrer sind so verletzlich. Lehrer brauchen Geborgenheit. Lehrer weinen heimlich. Lehrer kriegen 'nen Herzinfarkt.“ kat