Randsport steht im Zentrum

In dem bayerischen 6.000-Seelen-Ort Abensberg gibt es drei Sportarten: Judo, Judo, Judo – der Europapokalsieger ist Kalenderfixpunkt und kulturelles Ereignis  ■ Von Oliver Kauer

Abensberg (taz) – Undeutlich, aber in unverkennbar bayerischem Slang schallt es aus dem Lautsprecher des Bahnabteils: „Nexter Hoalt: Oabensberg.“ Dann ist man angekommen in Abensberg, einem 6.000-Seelen-Ort zwischen Regensburg und Ingolstadt. Angekommen in der deutschen Judo- Hauptstadt. Ein sichernder Blick nach links und rechts, denn: um von Gleis 2 auf die sichere Seite zu gelangen, muß man Gleis eins überqueren. Von der simplen Struktur des Bahnhöfchens läßt sich aber nicht auf ähnliche Strukturen des aktuellen Judo-Europapokalsiegers schließen.

Zwei Europapokalsiege und fünf deutsche Meisterschaften hat Bundesligist TSV Abensberg in diesem Jahrzehnt errungen. Und wer hätte es gedacht? Ohne Oberfechter Emil Beck wäre es nie so weit gekommen. Es war 1988, als Abensbergs Abteilungsleiter und Manager Otto Kneitinger den „Goldschmied“ traf. Beck erzählte, wie er Ruhm und Siege für Tauberbischofsheim realisierte, Kneitinger lauschte und dachte: „Das mache ich auch.“

Er machte es.

Nun allerdings beginnt morgen die neue, die 42. Bundesligasaison – und die anderen haben aufgerüstet. Dank des Bosman-Urteils verstärkten sich einige der zweimal acht Klubs in einem bisher nicht dagewesenen Umfang. „Es ist schon Wahnsinn, wer jetzt alles in der Bundesliga antritt“, sagt Kneitinger. Im Vergleich zum JC Rüsselsheim, der elf Nichtdeutsche verpflichtete, oder dem JC Wiesbaden, der die komplette spanische Nationalmannschaft holte, nehmen sich die drei Abensberger EU-Einkäufe bescheiden aus. Die Europäisierung der Liga macht manchem Sorgen: „Der Prozeß wird sich nicht positiv auf die Entwicklung unseres eigenen Nachwuchses auswirken“, sagt Bundestrainer Dietmar Hötger.

In Abensberg setzt man aber weiter auf die Jugend. „Seitdem wir 1991 Meister wurden, hat sich die Zahl unserer Kinder verdoppelt. Die Stadt Abensberg ist nicht größer geworden, sondern unsere Aktivitäten haben zugenommen“, erklärt Kneitinger.

Fußball kennen eh alle, Eishockey die meisten: Wie aber lebt es sich in jenen Bundesligen, die die TV- Scheinwerfer weniger hell ausleuchten? Die taz macht Licht. Folge 1: Judo

Unter der Leitung des früheren Frauen-Bundestrainers Albert Verhülsdonk gibt es seit 1993 ein Nachwuchsleistungszentrum mit einem durch halb Bayern verzweigten Stützpunkt- und Sichtungssystem, in dem über 1.800 Kinder und Jugendliche betreut werden. Während die Jugendarbeit von einem separaten Förderkreis unterstützt wird, wickelt die finanzielle Seite des Bundesligabetriebs eine Werbe-GmbH ab, welche die Sponsorengelder von etwa 350.000 Mark pro Jahr verwaltet.

Langfristig wollen die Abensberger nicht aufs Geld, sondern ihr Stützpunktsystem vertrauen. Die investierten Mittel haben den gewünschten sportlichen Erfolg erbracht, und der wurde judounüblich geschickt vermarktet. Dahinter steckt Arbeit. „Wir sind an den absoluten Grenzbereich der Ehrenamtlichkeit gestoßen“, sagt Kneitinger. Hauptamtliche Kräfte sollen aber nicht eingestellt, einzig die Sponsorenakquise und -betreuung an eine Agentur vergeben werden. Neben dem Interesse der Wirtschaft genießt der Verein auch das Wohlwollen und die Unterstützung der Stadt Abensberg und des Landkreises Kelheim, die pro Jahr jeweils 60.000 Mark für Trainerkosten zuschießen.

Mangelnde Medienakzeptanz, kaum Zuschauerinteresse, Finanznöte – worüber andere Judo-Bundesligisten lamentieren, tangiert die Abensberger nicht. „Ich bin mir sicher“, sagt Kneitinger, „die Gründe, warum Judo nicht weiterkommt, liegen zum Großteil an uns selbst. Randsport und so weiter, das ganze Geschwätz kannst du vergessen. In dem Moment, wo du es schaffst, das Fernsehen herbeizuschaffen, hast du alles andere auch.“ Ohne Beziehungen geht nichts. „Es ist hier viel auf politischem Wege entstanden“, gibt Kneitinger zu. Beim Europacup- Finale 1995 kamen 3.000 Zuschauer nach Kelheim. Erwin Huber, damals Minister für europäische Angelegenheiten, war Schirmherr. Ende 1996 saß Huber, inzwischen bayerischer Finanzminister, beim Bundesligafinale auf der Tribüne und kommentierte für einen Radiosender live. „Für Herrn Huber war es das Größte“, erinnert sich Kneitinger. Weil Huber da war, ließen die Kommunalpolitiker nicht auf sich warten. Und die Abensberger knüpften wieder neue Kontakte.

In Abensberg gehört es zum guten Ton, zum Judo-Kampf zu gehen. Judo ist ein kulturelles Ereignis. Früher hieß es, die Leute stünden mit der Mistgabel am Mattenrand. Inzwischen hat man ein fachkundiges Publikum in einer eigenen, zwei Millionen Mark teuren Halle, die Kneitingers Onkel finanzierte. Kämpfer Daniel Lascau, 1991 Weltmeister, sagt: „In Abensberg gibt es drei Sportarten: Judo, Judo und Judo. Die Leute hier leben nach dem Judo. Die fragst du, wann sie Urlaub machen, und sie antworten: Drei Wochen vor dem nächsten Judokampf.“

Die Bindung zur Anhängerschaft wird gepflegt. „Judo mit Herz“ steht auf den Rückenaufnähern ihrer Judo-Anzüge. Selbst für den introvertiertesten Kämpfer hat der Verein die Emotionen weckende Jubelpose nach einem Sieg zur Pflicht gemacht. Die Kämpfer genießen ihre Popularität im Judo-Mikrokosmos.

Ob man trotz aufgerüsteter Liga zum fünftenmal in Folge den Titel holen kann? „Natürlich wollen wir wieder Meister werden“, sagt Otto Kneitinger, „doch wir wissen auch, daß es so schwer wie nie zuvor wird.“ Hauptgegner könnte der Vorjahresfinalist werden, für den der populärste deutsche Judoka kämpft: Atlanta-Olympiasieger Udo Quellmalz. Der war nach der Wende nach Abensberg gekommen. Wenn man den jetzt sehen will, muß man einfach den Bahnhof Abensberg ignorieren und sitzen bleiben, bis die Stimme brummelt: „Nächster Halt: Ingolstadt.“