„Das Wichtigste ist, die Tories loszuwerden“

■ Der Friedensforscher Michael Randle über die verschwindenden Unterschiede zwischen den konservativen Tories und der New Labour Party. Und warum er trotzdem Labour wählt

taz: Ist New Labour die neue Law-and-order-Partei? Wenn man sich den Wahlkampf ansieht, könnte man das meinen.

Michael Randle: Die Labour- Politiker wollen beweisen, daß sie härter durchgreifen als die Tories, weil sie Angst haben, daß sie sonst Stimmen verlieren könnten. Deshalb redet der innenpolitische Sprecher Jack Straw davon, die Obdachlosen und Bettler von den Straßen zu verscheuchen. Bei all diesem Unsinn werden die sozialen Fragen nun auch bei New Labour unter den Teppich gekehrt.

Dieser Prozeß hat sich aber doch schon vor Jahren angekündigt. Die Vorgänger des Labour- Chefs Tony Blair, Kinnock und Smith, haben bereits von der Erneuerung der Partei gesprochen.

Ja, sicher, aber im Wahlkampf ist das weiter hochgespielt worden. Das hat nichts mit einer Erneuerung der Labour Party zu tun, die durchaus nötig war. Die Welt hat „sich ja auch verändert. Blair hat dagegen erklärt, er werde die Steuer- und Ausgabenpolitik der Tories für mindestens zwei Jahre übernehmen – als Empfehlung für die konservativen Wähler sozusagen. Dabei müßte er statt dessen nach einem Wahlsieg die Einkommenssteuer um zwei, drei Prozent anheben. Die Ungleichheit ist seit 1979, als die Tories an die Macht kamen, weit größer geworden. Aber die Labour Party hat nicht den Mut, das zu machen.

Also gibt es keinen Grund für die außerparlamentarischen Bewegungen, auf Labour zu hoffen?

Nein, um Gottes willen. Die Menschen, die in solchen Gruppen aktiv sind, haben mit Parteipolitik nichts im Sinn. Viele von ihnen werden gar nicht zur Wahl gehen, weil sie das für irrelevant halten. Ich bin nicht ganz dieser Meinung, weil ich es wichtig finde, die Tories nach 18 Jahren abzuwählen. Aber es wird keine Veränderungen geben, wenn kein Druck von unten kommt. Die Labour Party wird sich nach einem Wahlsieg auch nicht nach links entwickeln.

Worin bestehen denn jetzt noch die Unterschiede zwischen Tories und New Labour?

Der Hauptunterschied besteht wohl in der Verfassungsfrage. Labour will die erblichen Lord-Titel abschaffen. Das ist aber eher ein symbolischer Akt. Bedeutender wäre es, wenn Labour ein Referendum über eine Änderung des Wahlsystems durchführen und es zur proportionalen Repräsentation kommen würde. Viele der gewaltfreien Widerstandsgruppen stehen den Grünen nahe, aber die haben bei dem derzeitigen Wahlsystem nicht den Hauch einer Chance. Ein weiterer Unterschied zwischen Tories und Labour ist das Parlament für Schottland, das Labour versprochen hat. Aber kaum hatten sie es zugesagt, da wurde der Plan auch schon verwässert, und das Parlament für Wales soll noch weniger Befugnisse haben.

Also wenig Inhalt, viel Show: Der britische Wahlkampf wird immer mehr nach US-Muster geführt, manche Themen sind völlig ausgeblendet, oder?

Es gibt in der Tat große Lücken in diesem Wahlkampf. Zur Verteidigungs- und Außenpolitik ist gar nichts zu hören – außer zu Europa, und das hat mehr mit innenpolitischen Erwägungen zu tun. Dabei stehen wichtige Entscheidungen über die Osterweiterung der Nato bis zur ehemaligen Sowjetunion an. Eine Debatte darüber wird aber gar nicht geführt. Eine anderes Thema, das nicht diskutiert wird, sind die Atomwaffen. Bei den vorigen Wahlen wollte Labour nicht darüber sprechen. Jetzt tun sie es zwar, aber sie sagen nur, daß sie die sogenannte unabhängige Abschreckung voll unterstützen. Das ist für mich, der seit den 50er Jahren in der Friedensbewegung aktiv ist, sehr enttäuschend.

Werden Sie trotzdem Labour wählen?

Ja, weil in meinem Wahlkreis dieser rechte Tory-Bastard Marcus Fox kandidiert und es Zeit wird, daß er davongejagt wird. Leider ist die Wahrscheinlichkeit eher gering. Das Wichtigste ist erst mal, die Tories loszuwerden. Hätten die Liberalen Demokraten in diesem Wahlkreis bessere Aussichten als Labour, gegen Fox zu gewinnen, bekämen sie meine Stimme. Wenn ich auch nie viel für sie übrig hatte, so führen die Liberalen einen ehrlicheren Wahlkampf als Labour. Interview: Ralf Sotscheck

Michael Randle (63) ist Friedensforscher an der Universität Bradford. Er war 1959 Mitbegründer der ersten Friedensbewegung, des „Committee of 100“, sowie Mitarbeiter von Bertrand Russell. Randle saß insgesamt zweieinhalb Jahre wegen verschiedener Protestaktionen im Gefängnis. 1966 befreite er mit zwei anderen den KGB-Doppelagenten George Blake aus dem Gefängnis und schmuggelte ihn nach Ost-Berlin.