"Wir sind bereit zum Kompromiß"

■ Der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine bestreitet, aus taktischen Gründen Reformen zu verhindern. Ein gutes Steuerkonzept der Koalition würde er unterschreiben. Es scheitere aber an der Finanzierungslücke von

taz: Wo stünde die SPD heute ohne Sie? Könnte etwa die Steuerreform schon in trockenen Tüchern sein?

Oskar Lafontaine: Die Steuerreform scheitert an der ungedeckten Finanzierungslücke von 60 Milliarden Mark. Kein Land wird im Bundesrat der Vorlage der Regierung Kohl zustimmen. Das Versprechen der Regierung Kohl, 1999 die Steuern zu senken, ist die dritte Auflage der Steuerlüge. Wir wollen die Senkung der Steuern und Abgaben schon 1998.

Aber Sie haben doch die Zügel an sich gerissen. Ohne Sie hätte sich die SPD schon längst bereit erklärt, den Spitzensteuersatz zu senken.

Unter meinem Vorsitz wurde in den Gremien der SPD einstimmig beschlossen: „Senkung des Spitzensteuersatzes in dem Maße, wie das mit den Grundsätzen der finanzpolitischen Solidität und der sozialen Gerechtigkeit vereinbar ist.“ Wir sind bereit zum Kompromiß. Aber Steuergeschenke von 20.000 bis 100.000 Mark pro Jahr für die oberen Zehntausend sind schamlos. Die Senkung des Spitzensteuersatzes nach den Vorstellungen der Koalition würde einen Verlust von 28 Milliarden Mark bedeuten. Das können wir uns nicht leisten.

Eine Karikatur zeigt ein brennendes Haus mit der Aufschrift „Wirtschaft/Haushalt“. Davor bespritzen sich die Feuerwehrleute Kohl und Lafontaine gegenseitig mit Wasser. Macht Sie das nachdenklich?

Die SPD ist nicht verantwortlich für die Massenarbeitslosigkeit und die Rekordschuldenlast. Das ist das fragwürdige Verdienst des Feuerwehrmannes Kohl, der nicht verstanden hat, rechtzeitig den Schlauch zum Löschen aufzudrehen.

Kann ein Machtwechsel so wichtig sein, daß man aus taktischen Gründen Reformen verhindert, die eventuell vielversprechend sein könnten?

Nein. Das widerspräche meinem Politikverständnis. Wenn das Steuerkonzept der Koalition fachlich gut wäre, dann hätte ich es unterschrieben. Ich muß für mich selbst die Gewißheit haben, daß ich meine Entscheidungen am Wohl der Menschen orientiere. Wenn ich das nicht kann, höre ich auf. Alle Maßnahmen, die geeignet sind, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Konjunktur zu beleben, tragen wir mit. Die Steuerpläne der Regierung bewirken aber eher das Gegenteil.

Rudolf Scharping hat als Parteivorsitzender eher auf Konsens gesetzt. Sie wirken dagegen kompromißlos. Fürchten Sie nicht, daß sich da Frustration aufstaut, die sich später im Bundesrat entlädt?

Die Spekulation auf die Ministerpräsidenten ist fast schon komisch. Selbst die CDU-Ministerpräsidenten haben erklärt, sie könnten die riesigen Steuerausfälle durch die Steuerreform der Regierung nicht verkraften, insbesondere die im Osten. Biedenkopf und Stoiber haben das ganz unmißverständlich gesagt.

Fühlen sich nicht einige SPD- Ministerpräsidenten übergangen, weil sie wenig zu melden hatten?

Alle Entscheidungen wurden unter Beteiligung der Ministerpräsidentenkollegen diskutiert und gemeinsam getroffen.

Sie haben Ruhe in die Partei gebracht. Inzwischen kommen Inhalte dazu. War das ein bewußter Fahrplan?

Das bedingt einander. Unsere Inhalte wurden nicht mehr wahrgenommen, weil jeden Tag ein führender Politiker etwas anderes vertreten hat. Niemand konnte mehr die Frage beantworten, wofür die SPD steht. Durch die bessere Zusammenarbeit wird jetzt unsere Politik wieder deutlich. Wir sind für den Kündigungsschutz, für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, für höheres Kindergeld, für das Absenken des Eingangssteuersatzes, für die ökologische Steuerreform und für einen Neuanfang bei Bildung und Forschung.

Nun sind ja nicht alle internen Fragen der SPD geklärt. Nach wie vor ist offen, wer als Herausforderer von Helmut Kohl antreten wird. Gerhard Schröder schneidet derzeit in Umfragen erheblich besser ab als Sie. Was für Schlußfolgerungen ziehen Sie daraus?

Für mich ist erfreulich, daß die Schwäche der Regierung Kohl auch dadurch sichtbar wird, daß Gerhard Schröder in Meinungsumfragen deutlich vor dem Kanzler liegt. Das ist ja nicht die Regel. Normalerweise hat ein Amtsinhaber deutliche Vorteile gegenüber einem potentiellen Herausforderer. Die hohe Popularität von Gerhard Schröder nutzt der SPD.

Sie sind ja schon einmal als Kanzlerkandidat angetreten. Fürchten Sie, daß Ihnen das Image des Verlierers anhaften könnte, falls Sie Ihren Hut noch einmal in den Ring werfen?

Die Bundestagswahl 1990 stand unter außergewöhnlichen Vorzeichen. Erstens boten die historischen Veränderungen dem amtierenden Bundeskanzler eine einzigartige Bühne, und zweitens war ich aufgrund des Attentats nicht gerade in der besten Verfassung.

Treten Sie nach wie vor für einen eigenständigen SPD- Wahlkampf ein oder meinen Sie, es läuft doch auf einen rot-grünen Wahlkampf hinaus?

Jede Partei soll versuchen, so viele Wählerstimmen wie möglich zu gewinnen.

Stellt sich diese Frage nicht neu nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem Überhangmandate für verfassungskonform erklärt worden sind? Wäre es jetzt nicht für SPD und Grüne sinnvoll, Wahlabsprachen zu treffen?

Solche Überlegungen halte ich doch für weit hergeholt.

Aber wäre im Falle von Absprachen nicht für die SPD sogar mehr zu holen als für die Grünen? Müßten Sie also nicht ein besonderes Interesse daran haben?

Vergessen Sie nicht, daß es bei den Grünen Anhänger einer schwarz-grünen Koalition gibt. Und in einigen politischen Fragen nähern sich die Grünen ja bereits den Positionen der FDP an.

Reden Sie denn mit den Grünen überhaupt über das Thema?

Der Vorstandssprecher der Grünen Jürgen Trittin hat mit mir darüber gesprochen. Ich habe ihm meine Einschätzung dazu gesagt.

Und die ist negativ?

Ich habe ihm gesagt, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß SPD- Kreisverbände auf die Aufstellung von eigenen Kandidatinnen und Kandidaten verzichten.

Der Wahlkampf 1990 ist für Sie nicht gut gelaufen. Das lag auch daran, daß Sie als einer von ganz wenigen vor einer zu schnellen Währungsunion beider deutscher Staaten gewarnt hatten und dafür heftig angefeindet worden waren. Wie beurteilen Sie heute Ihre damalige Position?

Ich habe damals dafür plädiert, die Währungsumstellung so vorzunehmen, daß es nicht zu große Beschäftigungsverluste gibt. Mir ist es aber nicht gelungen, diese Sorge um die Zukunft der Menschen ausreichend verständlich zu machen. Wenn man ein Attentat zu verarbeiten hat, ist man nicht in einer guten Verfassung. Ich bin rückblickend der Auffassung, daß ich deshalb nicht das geleistet habe, was an Koordinationsarbeit in der eigenen Partei zu leisten gewesen wäre.

Viele Bürger der DDR fühlen sich heute als Opfer der Politik einer siegreichen Besatzungsmacht. Können Sie das verstehen?

Der Eingungsprozeß ist nicht nur in der Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt, sondern auch was die Eigentumsfrage angeht unbefriedigend verlaufen. Die neuen Eigentümer im Osten sind überwiegend Bürger, die im Westen wohnen. Das ist keine gute Entwicklung. Aber jammern nutzt nichts. Der Zug ist abgefahren. Jetzt geht es darum, in ganz Deutschland einen Politikwechsel herbeizuführen, damit der Reformstau der Regierung Kohl überwunden wird.

Nun gibt es nicht nur den Bereich der Wirtschaftspolitik. Derzeit entsteht der Eindruck, die SPD verabschiede sich weitgehend aus dem Bereich der Außenpolitik. Erfüllt Sie diese Entwicklung mit Sorge, oder meinen Sie, Joschka Fischer wird's richten?

Der Eindruck hat auch etwas damit zu tun, daß wir schon so lange in der Opposition sind. Die großen Außenpolitiker der SPD konnten sich in der Regierung auszeichnen. Rudolf Scharping leistet als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europa gute Arbeit. Und Günter Verheugen ist gerade zum Chef-Außenpolitiker der Partei bestellt worden.

Wir sind beim Thema Personalprobleme der SPD ...

Wir haben keine Personalprobleme. Wir haben im Bund und in den Ländern viele anerkannte Politikerinnen und Politiker.

Sie und andere Ihrer Generation galten lange als die Enkel. Nun kommen die Enkel in die Jahre. Wir haben den Eindruck, daß in der Generation der 30 bis 45jährigen in der SPD nicht viel nachwächst.

Dieser Eindruck ist falsch. Aber Sie haben recht: Aus dieser Generation steht bei uns noch niemand in der ersten Reihe. Das ist aber doch in allen Parteien zu beobachten. Meine Generation hat davon profitiert, daß wir als Nachkriegsgeneration ungewöhnlich schnell in führende Funktionen gelangt sind. Das ist heute anders. Ein 53jähriger ist noch nicht pensionsreif. Unser Jugendparteitag hat gezeigt, daß junge Leute nach vorne kommen.

Es geht nicht um Pensionsreife, sondern um Leute, die nachwachsen. Wen sehen Sie da?

Die öffentliche Wahrnehmung beschränkt sich in der Regel auf die Elefanten. Was in der Mitgliedschaft geschieht, wird weniger wahrgenommen. Da haben wir inzwischen wieder eine durchaus erfreuliche Entwicklung. Fast die Hälfte derjenigen, die neu in die Partei kommen, ist jünger als 35 Jahre. Für sie steht Andrea Nahles, die Vorsitzende der Jungsozialisten.

Also keine Nachwuchsprobleme?

Das ist damit ja nicht gesagt. Es ist ein Problem aller Parteien, daß sich heute junge Leute parteipolitisch weniger als früher engagieren. Die 68er Generation ging in die Politik, um eine Wiederholung des Nationalsozialismus zu verhindern oder die Restauration der Adenauerzeit durch Reformen aufzubrechen. In einer Wohlstandsgesellschaft scheint das Engagement für Parteien nicht mehr so ausgeprägt zu sein. Interview: Bettina Gaus und

Markus Franz