Im Reich der Klänge

■ Zwischen kühler Perfektion und virtuosen Trommelstaccati: Die japanische Gruppe Wadaiko Ichiro gastierte im Pier 2

Die Welt der Klänge ist ein Selbstbedienungsladen. MusikerInnen jeder Sparte und Coleur saugen begierig Einflüsse aus anderen Erdteilen auf. Doch jetzt wächst das Interesse am Original. Deshalb überraschte es nicht, daß das Konzert mit Wadaiko Ichiro aus Japan am Donnerstag im Pier 2 bald ausverkauft war.

Wie die deutsche hat auch die japanische Gesellschaft spätestens nach Ende des Zweiten Weltkrieges Schwierigkeiten mit kulturellen Traditionen. Im Eiltempo vollzog Japan den Anschluß an das „Weltniveau“. Mit Ausnahme des Dichters Yukio Mishima, der bis zu seinem Harakiri 1970 immer traditionalistischer wurde, blieb dieser Trend lange unwidersprochen. Erst Jahre nach Mishimas Tod machten auch außerhalb des Inselstaates japanische Gruppen auf sich aufmerksam, die sich radikal traditionellen Ausdrucksformen zuwandten. Durch ihre Auftritte wurden Gruppen wie Kodo oder Ondekoza auch hierzulande bekannt – gleiches strebt jetzt das elfköpfige Ensemble Wadaiko Ichiro mit ihren als „hypnotisierend“annoncierten „Trommeln aus Japan“an.

Ein Trommler in der Bühnenmitte. Noch mit verhaltenem Gestus gibt er ein Staccato von Schlägen vor. Nach und nach gesellen sich die anderen hinzu und fallen fehlerlos in den Rhythmus ein. Auf „Vorschlag“steigern die Musiker das Tempo. Blitzartig lassen sie die Klöppel auf die Trommeln niedergehen. Wie vom Stroboskoplicht beleuchtet, scheinen die Sticks zwischen den Schlägen in der Luft zu verharren. Wadaiko Ichiro bedeutet so viel wie Hingabe an die Trommeln – doch diese Hingabe kommt beim staunenden Publikum zunächst als kühle Perfektion an.

Bei Aufführungen japanischer KünstlerInnen bilden Musik, Wort und Tanz eine Einheit. Deshalb beschränkt sich Wadaiko Ichiro nicht auf die Percussion. Schon das Trommeln selbst erscheint besonders an den metergroßen Wadaikos choreographiert, wenn sich die MusikerInnen wie in Kampfsporthaltung an ihr kräftezehrend-virtuoses Werk machen. Zitate aus Tanzpantomimen sowie Gesänge und Anfeuerungsrufe komplettieren die immer besser ankommende Show.

Und die gibt so manches Rätsel auf. Die Klänge, die der Musiker rechts seiner schrill tönenden Quer- oder seiner tieferen Bambusflöte entlockt, sind traditionell japanisch und erinnern doch an Free-Jazz. Die Posen, die von den drei Frauen und acht Männern beifallerheischend deutlich gezeichnet werden, wirken bald wie eine Ironisierung der Überlieferungen. Bald jedoch zelebriert Wadaiko Ichiro einen Streifzug, der das Pier 2 trotz Flaschenklappern in ein Wechselbad von poetisch-zarter bis akrobatisch-impulsiver Stimmung taucht. So abwechslungsreich serviert Wadaiko Ichiro das Original, bis sich das anfangs zurückhaltende Bremer Publikum schließlich zu stehenden Ovationen hingerissen fühlt. Christoph Köster