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: "Versteckt und Verlacht" - Feature im Hackeschen HörTheater

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„Versteckt und Verlacht“ – Feature im Hackeschen HörTheater

Das schlimmste ist die Scham, das Versteckspiel selbst vor den vertrautesten Mitmenschen, die Angst jeden Tag, daß die große Schmach eines Tages doch entdeckt wird. Und dann kommt es raus: Man kann nicht lesen, kann nicht schreiben. Und jeder denkt dann, man sei dumm. Es gibt in Deutschland etwa vier Millionen Analphabeten. In Berlin sind es allein 20.000. Drei davon kommen in Ilse Ziegenhagens Feature „Versteckt und Verlacht“ zu Wort. Zunächst wird einem beim Zuhören die Allgegenwart des Geschriebenen so richtig bewußt und damit dann die Probleme, die man als Analphabet täglich hat, wenn man U-Bahn-Stationen nicht erkennt und keine Straßennamen lesen kann. Vor allem: Alle andern scheinen das zu können. Fast jeden Moment wird man darauf gestoßen, daß man etwas nicht kann, was jeder andere kann und was man ständig wieder braucht. Man ist sehr allein damit, denn niemand gibt es zu. „Da hab ick eenen kennenjelernt, der hat jesacht, dit ham andre och und is' jar nich' so schlimm“ sagt einer der Interviewten.

Ein anderer erzählt, daß das schlimmste für ihn Behördengänge seien. Da pfeife er sich vorher immer ein, zwei Biere rein und wickele seine Hand dann in einen dicken Verband, damit er sagen könne, er sei verletzt und könne deswegen gerade heute gar nicht schreiben. Oder eine Frau meint: „Bin nie verreist deswegen. Mal zum Alex oder nach Weißensee, weiter nich'.“

Ziegenhagens Feature ist so eindringlich, weil sie die Leute einfach erzählen läßt, kaum kommentiert und nur wenig psychologisch deutet. Ganz am Ende meint eine ältere Frau, die jetzt wieder in die Schule geht und ganz langsam Lesen und Schreiben lernt, daß sie das alles später aufschreibt, wie das gewesen ist, als sie nicht lesen konnte. „Dann erst find' ich meine Ruhe“, sagt sie. Und außerdem: „Mein größter Traum is', 'n schönes dickes Buch zu lesen, 'nen richtigen Roman, da freue ich mich heut schon drauf.“ Volker Weidermann

Morgen, 21 Uhr im HofTheater, Rosenthaler Straße 40/41, Mitte

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