Landluft macht high

■ Brandenburg lädt zum Kurzurlaub auf dem Land ein. Da gibt's sogar Hotels

Für so manchen alteingesessenen Westberliner mag es noch immer ungewohnt erscheinen, aber es gibt tatsächlich ein Leben außerhalb der Stadtgrenzen. Und zwar nicht erst in Schleswig-Holstein oder Bayern, sondern fast vor der Haustür. Ideal für einen Wochenendtrip, wenn einem zu Hause die Decke auf den Kopf fällt und Ebbe in der Kasse herrscht: In Brandenburg gibt es genügend Hotels, Bauernhöfe und Pensionen für alle, die einmal der Stadtluft entfliehen wollen. Also nichts wie rein in Auto oder Bahn und losgefahren. Mit dem Fernsehturm im Rücken wächst das Urlaubsgefühl Kilometer für Kilometer – vorausgesetzt, man entgeht den Staus.

Das Herz fängt an zu hüpfen, wenn die Orte schließlich immer kleiner und die Straßen immer holperiger werden. Tauchen die ersten Kühe auf den Wiesen auf, wird die Johnny-Cash-Kassette in den Rekorder eingelegt. Spätestens auf dem staubigen Feldweg am Rande des Dorfes weiß der Städter, daß er in einer anderen Welt ist: Am Ende des Weges steht ein echter Bauernhof. Zum Beispiel der von Detlef Wunsch in Hardenbeck in der Uckermark.

Auf der Wiese vor dem Gutshaus Falkenhain knabbern Pferde am Gras. Am Teich blöken Schafe und Lämmer, und auf dem Weg kommt ein Hund angesprungen. Auch der Hausherr ist gleich zur Stelle und heißt die Gäste freundlich willkommen. Jedes der acht Zimmer hat einen eigenen Namen: Eulen-, Holz-, Geißen- oder Hochzeitszimmer. Die Stube für die frisch Vermählten ist am größten und schönsten: Der rustikale Schrank, das riesige Holzbett mit den dicken Federdecken verbreiten ein gemütlich-ländliches Ambiente. Und vom Fenster hat man einen wunderschönen Blick aufs weite Land.

Aber was wäre ein Gutshof ohne Tiere? Im Stall steht neben den Pferden – Falkenhain ist auch ein Reiterhof – ein junger Bulle. Außerdem hält Bauer Wunsch mehrere „Bentheimer Schweine“ – eine vom Aussterben bedrohte Haustierrasse und damit der Stolz des Bauers. Eines der Schweine hat vor kurzem vier kleine Ferkel geworfen, die nun übereinander purzeln. Und über Hof und Wiese wackeln Hühner und Gänse mit ihren kleinen leuchtend gelben Gösseln im Schlepptau. Das ist der ländliche Fachausdruck für Küken, lernt der Stadtmensch.

Überhaupt gibt es viel zu sehen und zu erleben. Besonders Kinder bekommen große Augen, wenn Landwirt Wunsch von der Wolfsschlucht erzählt, das Geheimnis der alten, hohlen Eiche lüftet oder sogar eine Nachtwanderung veranstaltet. Aber auch städtische Erwachsene staunen, wenn bei der Kutschfahrt über Land plötzlich ein Fuchs den Weg überquert, oder wenn hoch über dem Feld ein Fischreiher kreist. Und im Nachbardorf, so beweist Wunsch, holen die Bewohner jeden Abend ihre Gartenzwerge ins Haus.

Gegessen wird auf Falkenhain gemeinsam, es gibt Brot, Wurst, Kartoffeln, Braten – rustikale Hausmannskost eben. Bauer Wunsch sitzt mit an der großen Tafel im Erdgeschoß des hundert Jahre alten Gutshauses, dem man ansieht, mit wieviel Mühe und Liebe es restauriert worden ist. Im ganzen Haus finden sich alte Dielenböden, große Holztruhen, Antiquitäten und Gemälde. Wenn spät in der Nacht der Mond ins Zimmer leuchtet, ist nichts zu hören außer gelegentlichem Grunzen und Schnauben aus dem Stall.

Unweigerlich überkommt den Wochenendbesucher aus der Stadt die Bauernhofromantik. Doch ebenso unvermeidlich droht so manchem Gepeinigten eine Gefahr, die nicht vergessen werden darf. Unwissende schnauben verächtlich, aber Betroffene wissen Bescheid: Heuschnupfen. Für sie wird ein Wochenende zwischen Pferdestall und Scheune kaum erholsam sein.

Auch wer statt rustikal mehr auf feudal eingestellt ist, kommt auf dem Land auf seine Kosten. Schnöde Allerweltshotels sind ja überall zu finden – aber wer hat schon mal in einer echten Burg übernachtet? Auf der „Koburg“ Lenzen in der Prignitz ist's möglich. In insgesamt 20 Zimmern kann man nicht nur Burgambiente genießen und nachts nach dem Rasseln rostiger Ketten horchen. In dem alten Gemäuer befindet sich außerdem das „Europäische Zentrum für Außenökologie, Umweltbildung und Besucherinformation“. Bett und Bildung im Doppelpack. Diejenigen, die auch im Urlaub alles selber machen wollen, sind mit einer Ferienwohnung wohl besser beraten. Wer im Urlaub nicht aufs selbstgekochte Ei verzichten mag, kann sich als Gast auf dem Hof der Familie Stolz in Poblitz einmieten. Dort gibt es alles, was das Städterherz erfreut: Hühner, Ziegen, Ponys – und viele, viele Schafe. Der Hof ist nämlich eine Heidschnucken-Schäferei. Wer möchte, kann auch nur für eine Nacht bleiben.

Auf dem Heimweg röhrt Johnny Cash ein letztes Mal durch die Lautsprecher. Am Horizont taucht der Fernsehturm wieder auf, und der geplagte Städter fühlt sich, als sei er eine ganze Woche weg gewesen. Sabine Gärtner