Nur eine Frage des Services

■ Geschäfte in der Bergmannstraße profitierten nicht von den längeren Öffnungszeiten. Trendige Läden lassen offen, alteingesessene schließen pünktlich um 18 Uhr die Tür

Über höhere Umsätze kann sich Katherina Dilger noch nicht freuen. Seit November des vergangenen Jahres ist ihr Naturkosmetikgeschäft „Bella Donna“ bis 20 Uhr geöffnet. Zumindest am Ende der Woche ist der Laden auch am Abend gut frequentiert. Gesichtswasser und Lippenstifte ohne Konservierungsstoffe, parfümfreie Haarshampoos oder ätherische Öle sind zwar „eher etwas für den gehobenen Geldbeutel“, meint Dilger, doch zunehmend werde der Kosmetikladen auch von einer Kundschaft genutzt, die sich beim späten Geschäftsbummel einfach mehr Zeit und von den Wohlgerüchen anziehen läßt.

Ob sich das Geschäft allerdings nur einfach in den Abend verteilt, vermag sie nicht einzuschätzen. Dafür fehlte vor allem der Vergleich zu den Sommermonaten des Vorjahres. Doch die längeren Öffnungszeiten will sie beibehalten. „Es ist einfach eine Frage des Services, den man seinen Kunden bietet.“

Wolfgang Schreiber dagegen hat „nicht eine Minute“ daran gedacht, sein Juweliergeschäft länger als bis 18 Uhr geöffnet zu lassen. Neuerdings schließt er das Geschäft am Mittwoch sogar ganz. Sein Goldschmuck erscheint genauso alt wie der Uhrmacher selbst, der in den sechziger Jahren die Blütezeit seines Ladens erlebte. „Damals haben wir hier zu sechst gearbeitet und allesamt reichlich verdient. Heute sind wir nur noch Paslacks.“ Seine mit Delphinen verzierten oder mit Straß besetzten Goldringe kauft niemand mehr. Statt dessen ersetzt er Batterien von Uhren, die die Leute bei Tchibo im Sonderangebot gekauft haben. Über höhere Umsätze durch längere Öffnungszeiten kann Schreiber nur lachen. „Wenn ich am Abend göffnet hätte, würde mir erst einmal die Versicherung eine höhere Gefahrenprämien abverlangen.“

Beide Geschäfte liegen nur fünfzig Meter voneinander entfernt. Doch ihre Betreiber haben noch nie ein Wort miteinander gewechselt, noch nie beieinander eingekauft. Katharina Dilger ist Anfang Dreißig, Wolfgang Schreiber ist Ende Fünfzig. Zwischen ihnen liegen Jahrzehnte ökonomischer Veränderung. Daß sich die neuen Ladenschlußzeiten rentieren, können beide nicht behaupten. Doch die Öffnungszeiten hängen weniger von den Umsätzen ab, sondern von den Zeichen der Zeit. Die Bergmannstraße ist mit ihren Kneipen und Geschäften eine der belebtesten und beliebtesten Straßen Berlins; unabhängig von den Temperaturen stellen spätestens im März die Restaurants ihre Tische heraus. Hier herrscht „La dolce vita“.

Das „magische Dreieck“ in Kreuzberg ist hip, trendy und angesagt. Trotzdem hatten die meisten Geschäfte die Öffnungszeiten nur während des Weihnachtsgeschäfts ausgeschöpft, nun haben viele nur noch bis 19 Uhr regulär geöffnet, doch andere nicht einmal das. In dieser Konsum- und Amüsiermeile kann man auf den ersten Blick erkennen, welches Geschäft früher schließt und welches später. Das Geschäft für Bastelbedarf schließt wie seit zwanzig Jahren um Punkt 18 Uhr, weil natürlich niemand mehr um acht Uhr eine Tube Pattex kauft. Der Penny-Markt im Hinterhof der modernisierten Bergmannstraße 103 hält die Preise niedrig und natürlich auch das Angebot. Das freut zumindest die AnwohnerInnen, die den Lärm des Kundenverkehrs nur bis um 18.30 Uhr ertragen müssen.

Der Leiter einer Supermarktfiliale einige Häuser weiter, die nur am Donnerstag und Freitag bis 20 Uhr geöffnet hat, sieht dafür selbst gar keinen großen Bedarf: Wer sonst um fünf nach sechs gekommen ist, kommt jetzt um fünf nach acht. Und mehr Geld haben die auch nicht in der Tasche.

Das sieht zwar auch Jürgen Hess so. Seinen Weinladen hatte er zunächst bis 20 Uhr geöffnet, doch das hat sich überhaupt nicht gelohnt. Er verdient sogar eher weniger, weil „die Leute bei der schlechten Konjunktur natürlich weniger konsumfreudig sind“. Doch sein Geschäft wird von den jungen, modernen und erfolgreichen Menschen aufgesucht, die den Mythos um die Bergmannstraße begründen und die vor allem abends in den Kiez strömen.

Jetzt gestaltet er wie die meisten anderen Läden seine Öffnungszeiten also „flexibel“. Hess hat offizielle „Grundzeiten“, schickt aber niemanden, der später kommt, weg. Vor allem jedoch hofft Hess auf den Sommer. Wie die anderen Betreiber der Läden, die sich auf die neue Zeit eingestellt haben, glaubt er davon profitieren zu können, wenn das warme Wetter die Leute in die Kneipen und Restaurants zieht und ihnen wieder mehr Lust zum Flanieren macht – und zum Konsumieren. Thekla Dannenberg