■ Ökolumne
: Die Autorechnung Von Manfred Kriener

In zehn Jahren gehört sie zum Alltag: die Verkehrsrechnung. Genauso wie die Telefonrechnung. Und natürlich wird es auch den Mondscheintarif geben, denn Autofahren in der Nacht ist billiger als am Tage. Es werden Tarifzonen eingerichtet – Autobahnen sind teurer als abgelegene Landstraßen – und in bestimmten Zeitzonen sind Topzuschläge fällig: Wer ausgerechnet zur Rush-hour auf der Ruhrautobahn zu Tante Klärchens Geburtstag fährt, zahlt kräftig drauf. Berufstätige Pendler bekommen womöglich einen Bonus, Freizeitverkehr ist dagegen teuer. Aber vielleicht wird es ja auf Druck der Autoindustrie ein fixes Quantum an Freifahrten für alle geben.

Die Abrechnung fürs Autofahren ist kein Hirngespinst, sondern ein realistisches Szenario. Road-pricing heißt das Zauberwort der verkehrspolitischen Debatte. Wer fährt, soll bezahlen, und wer viel fährt, soll viel bezahlen. Italiener, Franzosen und Schweizer halten seit Jahren auf ihren Autobahnen die Hand auf, neuerdings auch die Österreicher. Daß auch die deutschen Verkehrsminister aller Bundesländer händeringend neue Einnahmequellen suchen, um die davongaloppierenden Kosten für die Verkehrsinfrastruktur einzuholen, bestätigte eine verkehrspolitische Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Wichtigste Erkenntnis: Die Kassen sind leer, der Straßenverbrauch ist horrend, und es gibt keine Denktabus mehr.

Nur vier Jahre braucht die donnernde Karawane der Lastwagen, um eine neugebaute Straße zu ruinieren. Weil das alles nicht mehr zu bezahlen ist, weil zudem der Stau die Mobilität immer öfter ausbremst, weil immer mehr Laster zum Nulltarif durchs Transitland Bundesrepublik rattern, wird es hohe Zeit gegenzusteuern – mit dem wichtigsten verkehrspolitischen Instrument, dem Geldbeutel. Die EU-Kommission ermuntert ihre Mitgliedsländer ausdrücklich dazu, zuletzt bei der Konferenz der europäischen Verkehrsminister in Berlin. Sie favorisiert Mautsysteme, um gerechtere Preise im Verkehr durchzusetzen.

Länder, die heute auf den Maut umsteigen, brauchen dazu keine Kassenhäuschen und „Pickerl“, Aufkleber, mehr. Telematik heißt das zeitgemäße elektronische Hilfsmittel, um beim Lkw- und Autofahrer wenigstens einen Teil dessen zu kassieren, was er an Kosten verursacht.

Wie das funktioniert? Der Satellit kommuniziert mit dem Empfangsgerät des intelligenten Autos und hilft diesem, bis auf wenige Meter Abweichung seinen Standort zu bestimmen. Der Standort kann dann im Auto aufgezeichnet werden. So wird die Fahrstrecke gespeichert. Und wie beim Telefonieren schiebt der Autofahrer nach dem Klicken des Sicherheitsgurts seine Chipkarte ein. Eine digitale Anzeige signalisiert ihm, wie viele Einheiten er bereits verfahren hat. Technisch ist das alles kein Problem. Natürlich darf die Fahrt nicht bei Tempo 180 auf der Überholspur enden, weil plötzlich die Chipkarte abgelaufen ist.

Ursprünglich war die Telematik einmal auserkoren, die Verkehrsströme zu lenken, um Staus zu vermeiden. Jetzt könnte sich eine ganz andere Anwendung ergeben: das Auspreisen des Verkehrs. Solch ein System wäre wunderbar gerecht, weil genau das bezahlt wird, was tatsächlich gefahren wurde. Aber ist es auch durchsetzbar? Kann das Szenario der totalen Überwachung entschärft werden? Weiß künftig der Satellit, daß Frau Mustermann jeden Dienstag um elf mit ihrem roten Citroän 13 Kilometer von Hohenhausen nach Hinterholzheim zum Rendezvouz fährt? Wer weiß es noch? Die Chipkarte! Die verrät es aber niemandem, sagen die Verkehrstechniker von Siemens und schwören heilige Eide, daß es tausend Möglichkeiten gibt, um „den Datenschutz zu gewährleisten“.

Natürlich könnte auch die Mineralölsteuer saftig erhöht werden, um die eskalierende Mobilität zu bezahlen und verkehrspolitisch zu lenken. Dann braucht es weder Maut noch Chip. Nur, dann lacht sich der holländische Lkw-Fahrer wieder halbtot. Der tankt nämlich kurz vor der Grenze voll und fährt dann umsonst und draußen. Also doch die Verkehrsrechnung via Telematik? Wir sitzen zu Hause im Sessel, und draußen im Stau sickern millionenfach die Zehnmarkscheine aus den Chipkarten, um unseren „entfernungsintensiven Lebenstil“ zu finanzieren. Eigentlich eine behagliche Vorstellung.