Müde Mutter tappt feinsinnig im Dunkeln

■ „Junge Hunde“: K. Alexis Alatsis inszeniert „Iokastes Schatten“auf Kampnagel

Der Klang von Wasser, das von Höhlenwänden tropft, grünbläuliches Licht über einem Quadrat, das wohl die unterirdische Mitte kennzeichnen soll. Gegenüber der klar definierte Eingang zum Hades. Die vor Zeichen platzende Bühne läßt nicht den geringsten Zweifel an der Bedeutsamkeit der zu erwartenden Geschehnisse. So schwer und abgezirkelt präsentiert sie sich. Von den Rändern ihrer Unterwelt, hinter Säulen und Schattenwänden, dann die Stimmen und Laute dreier Rachegöttinen (Claudia Fenner, Anna Karger, Patricia Tiedtke).

Stammelnd und zischend ringen sie um einen Satz, der das eigene Spiel eröffnet und wie in einem Orakel beschwört. Bis er schließlich eintritt – Iokastes Schatten – sehr feierlich und sehr gemessenen Schrittes (Ulrike Barchet). Und mit ihm die ganze leidige Geschichte um blinden Vatermord und ödipalen Mutterinzest. In der Inszenierung von K. Alexis Alatsis (der bereits mit Komödie auf der Brücke im Audimax in Hamburg 1990 debütierte) allerdings führt Iokaste selbst durch die Geschichte. Die in der mythologischen Tradition zur Randfigur degradierte Königin Thebens, hier bildet sie selbst das gut ausgeleuchtete Zentrum des Stücks.

Das Stück ruft Jokastes Schicksal noch einmal in allen wichtigen Stationen auf die Bühne, theatralisch herausgefordert durch die bedrohlichen Rachegöttinnnen. Sie provozieren Iokaste, in schleichenden und nicht vorhersehbaren Bewegungen, konfrontieren sie mit den zentralen Vorwürfen der Kindsaussetzung und der „Blutschande!“Die Zäsuren und Passagen der Aufführung werden gesetzt durch ihre Verwandlungskunst. Noch einmal wird Iokaste durch sie dem Sohn und Geliebten Ödipus (in dreifacher Gestalt), ihrem Gatten Laäos und dem blinden Seher Tiresias begegnen. Der Text der Königin, er ergibt sich aus diesen Momenten der Konfrontation. Aber das Spiel, die Bewegungen, all die unterschiedlichen Stimm- und Tonlagen der Aufführung helfen nicht viel. Denn die Figur, die da schreitet und spricht, könnte von jeder Dunkelheit gar nicht weiter entfernt sein. Statt eines dramatischen Konflikts werden da feinsinnige Verstörungen und laue Empfindlichkeiten auf die Bühne geholt.

Denn was passiert eigentlich, wenn man wie die Inszenierung Iokaste genau dort abholen will, wo der Mythos sie zurückgelassen hat. Nach ihrem Tod und auf der Schwelle ins Totenreich. Findet man dann, in aller gut sichtbaren Symbolik, die andere, die eigentliche Iokaste? Geht es dann um die Wahrheit der Figur? Jedenfalls war der meistgebrauchte Name für sie an diesem Abend bezeichnenderweise der der Mutter. Vielleicht, daß sich Iokastes Schatten in den vielen Sätzen, die da zu zitieren und als ihre eigenen herzusagen sind (von Sophokles über Shakespeare zu Heiner Müller und B. M. Koltès), auch einfach verläuft. Und daß sie – wenn sie am Ende in ein Licht geht – nur noch müde ist von diesen vielen Zuschreibungen und ewigen Wahrheiten. Elisabeth Wagner