„Noch Fragen an den Kandidaten?“

■ Dienst nach Vorschrift: Wie die SPD ihre Bürgerschaftsplätze verteilt

Die SPD tat Dienst nach Vorschrift. Ebenso einig wie eilig bestimmten die Delegierten am Freitag auf dem Parteitag bis in den späten Abend einen Bürgerschaftskandidaten nach dem anderen. Von Wissenschaftssenator Leonhard Hajen über SPD-Mitte-Fürst Ingo Kleist bis zu Britta Ernst, Referentin von Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow, wurden alle durchgewunken. „Noch Fragen an den Kandidaten?“tönte es 112mal aus dem Lautsprecher, und 111mal: „Das ist nicht der Fall.“

Entsprechend gefaßt trat Thomas Böwer (Platz 46) ans Mikrofon und stellte sich vor. Auch hier „keine Fragen an den Kandidaten“. Aber auch keine Mehrheit für den Geschäftsführer des rebellischen SPD-Kreises Eimsbüttel, der zuletzt bei dem „Bettler-Erlaß“dem Bürgermeister Paroli bot. Erst im zweiten Wahlgang hatten 144 der rund 300 VertreterInnen ein Einsehen – die relative Mehrheit reichte.

Als Böwer seine Wahl annahm, war bei den SchwuSos bereits Feiern angesagt. Gruppenmitglied und SPD-Wahlkampfmanager Lutz Kretschmann war auf Listenplatz 40 gewählt worden, mit etwa 80 Prozent der Stimmen. Damit hat nach der GAL auch die SPD zum ersten Mal einen offen schwulen Vertreter für die Bürgerschaft aufgestellt. „Ich will mit meiner Kandidatur ein Zeichen setzen“, erklärte Kretschmann. „Aber ich möchte mich nicht nur um lesbischwule Themen kümmern.“Keine Fragen? Dann zur nächsten Kandidatin.

Und zu ihrem Gegenkandidaten, dem einzigen der ersten 75 Plätze. Die linke Frauenpolitikerin Silke Urbanski bekam Konkurrenz vom parteirechten Manfred Blanckley, Mitglied des SPD-Arbeitskreises für Arbeitnehmerfragen. „Frauen dürfen nicht zurück an den Herd gedrängt werden“, forderte die Historikerin. „Wir dürfen unsere Stammwählerschaft nicht aus den Augen verlieren“, hielt Blanckley dagegen. Urbanski gewann und brachte die Frauenquote der aussichtsreichen ersten 60 Plätze auf die SPD-üblichen 40 Prozent.

Die Fragequote dagegen lag nach taz-Berechnungen unter einem Prozent. Von den ersten 60 BewerberInnen mußte lediglich der Arzt Mathias Petersen Antwort stehen. Die brisante Frage lautete: „Wie gedenken Sie Ihre Praxis und die Bürgerschaftsarbeit zu koordinieren?“Petersen versprach, sich beruflich einzuschränken, und die Versammlung dankte es ihm. 278 Ja-Stimmen bekam der Nachfahre von Bürgermeister Rudolf Petersen – das zweitbeste Ergebnis insgesamt und drei Stimmen besser als Bürgermeister Henning Voscherau.

Judith Weber