Familienbetrieb für den Frieden

Gesichter der Großstadt: Der 56jährige Lehrer Tommy Spree führt das Erbe seines Großvaters im Antikriegsmuseum in Wedding fort  ■ Von Kirsten Niemann

Tommy Spree redet lieber über seinen Großvater als über sich selbst. Und das macht er nicht nur mit Stolz und leuchtenden Augen, sondern auch aus gutem Grund. Denn schließlich war es der Schauspieler und Vater seiner Mutter, Ernst Friedrich, der im Jahr 1925 in der Parochialstraße das erste Berliner Antikriegsmuseum gegründet hatte. Ein Erbe, das der 56jährige Lehrer für Geschichte, Sport und Englisch rund 80 Jahre später selbst einmal antreten sollte. Am vergangenen Freitag feierte Spree mit seinen 20 ehrenamtlichen Mitarbeitern und dem Weddinger Bezirksbürgermeister das 15jährige Bestehen des neuen Antikriegsmuseums, das ohne die Initiative seines Großvaters wohl niemals entstanden wäre.

Fotos von verstümmelten Soldaten und Kindern, Tret- und Tellerminen aus allen Weltkriegen, Orden und Zeitungsmeldungen über die Kriege dieses Jahrhunderts und seine Waffen – in den beiden Schauräumen des Museums befinden sich mindestens tausend Dinge, die dem Betrachter weiche Knie bereiten. Doch auch kuriose Dinge wurden hier zusammengetragen. Vor allem makabrer Kriegsnippes wie der Bilderrahmen für das Soldatenfoto, der aus Patronen zusammengesetzt ist. Oder ein Eisernes Kreuz als Butterförmchen, damit die Mutter ihrer Familie schon auf dem Frühstückstisch einen Orden kredenzen konnte. Außergewöhnlich ist auch die größte Granate aus dem Ersten Weltkrieg, die schon der Großvater Friedrich für seine Sammlung aufgestöbert hatte.

In den 20er Jahren, als die Schulen ihre Zöglinge an verregneten Wandertagen noch zum Waffen- Gucken ins Zeughaus schickten, schien ein Museum, das die Schrecken des Krieges propagierte, als etwas völlig Absurdes und bei den meisten Bürgern der Stadt nicht unbedingt beliebt. So berichtete selbst der Philosoph Robert Jungk, er habe sich als junger Bursche mit ein paar Freunden zum Antikriegsmuseum aufgemacht, um „dem Friedenshetzer mal Bescheid zu stoßen“. Statt dessen zeigte sich der junge Jungk von dem Foto eines verkohlten Kampfpiloten derartig schockiert, daß er für den Rest seines Lebens von jeglicher Kriegsbegeisterung kuriert sein sollte.

„Schon Großvater Friedrich hatte gesagt“, erzählt Tommy Spree, „wenn du wirklich etwas für den Frieden tun willst, dann mußt du mit den jungen Leuten arbeiten.“ So betreut der Lehrer Spree auch heute am liebsten Schulklassen oder Konfirmandengruppen. Aber auch andere finden den Weg in das Museum: japanische Touristen oder der Hausfrauenbund auf Ausflugstour.

Doch Sprees Arbeit mit dem Museum schloß nicht nahtlos an das Wirken seines Großvaters an. Im Jahr 1933 wurde der Friedensmissionar Ernst Friedrich von den Nazis verhaftet, das Museum zerstört und in ein „Sturmlokal“ nebst Folterkammer umgewandelt. Nachdem Friedrich kurze Zeit darauf aus der Schutzhaft entlassen wurde, konnte die Familie ins Ausland fliehen. Unter dem Druck der Repressalien zerstritten sich die Sprees und waren schließlich über mehrere Länder verstreut. Der Großvater, dem die Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt hatten, lebte zuletzt in Frankreich. Sprees Eltern zogen nach London, wo im Jahr 1940 der Enkel Tommy geboren wurde. Erst mit zwölf Jahren kam Tommy Spree, der eigentlich auf den Namen Gustave getauft wurde, nach Berlin. „Doch so wurde ich noch nie genannt. Hier in Berlin war ich dann der Tommy, weil ich aus England kam.“

Den Großvater hatte Tommy erst als 16jähriger in Paris kennengelernt. Dort hatte der Friedensvisionär derweil mit seiner Wiedergutmachungsrente aus Deutschland eine Begegnungsstätte für deutsche und französische Jugendliche eingerichtet. „Mein lieber Junge“, hatte der Opa seinen Enkel am Bahnsteig begrüßt, „putz dir mal das Stroh von den Hosen – wir sind jetzt in einer richtigen Weltstadt. Und für mich heißt du ,Bolle‘.“ Der Kontakt zwischen Tommy „Bolle“ Spree und seinem Großvater blieb bis zu dessen Tod am 2. Mai 1967 bestehen.

Er sei von der Arbeit seines Großvaters sehr beeindruckt gewesen, sagt Tommy Spree heute, doch selbst einmal ein Antikriegsmuseum zu leiten, habe er eigentlich nicht im Sinn gehabt. „Ich war früher weder politisch noch historisch so drauf“, erklärt der Vater zweier Söhne, der – ganz nach großväterlicher Tradition – bewußt keiner Partei angehört. Doch als sich gegen Ende der 70er Jahre immer mehr Leute der Friedensbewegung anschlossen, lebten auch die Ideen des Großvaters Friedrich wieder auf. Nachdem Tommy Spree im November 1981 von der Internationalen Liga für Menschenrechte gebeten wurde, einen Diavortrag über das Leben und Wirken seines Großvaters zu halten, kam aus der Friedensbewegung der Wunsch auf, wieder ein Antikriegsmuseum in Berlin einzurichten. Und wer außer dem Enkel sollte es leiten? Ein Nachfolger ist auch schon in Sicht: Tommy Sprees ältester Sohn dürfte in die Fußstapfen des Urgroßvaters treten. Er will später nicht nur, wie Friedrich, Schauspieler werden, sondern arbeitet auch jetzt schon im Museum.

Das Antikriegsmuseum in der Müllerstr. 158 ist Di.–So. 16–20 Uhr geöffnet. Tel. 4618919