Eurokraten verwirren Industrie

Obwohl in zehn Tagen die Novel-Food-Verordnung in Kraft tritt, ist noch immer unklar, welche Gentech-Nahrung gekennzeichnet werden muß  ■ Von Wolfgang Löhr

Berlin (taz) – Ab 15. Mai gilt in allen EU-Mitgliedstaaten die neue Novel-Food-Verordnung. Von da ab unterliegen neuartige Lebensmittel einem einheitlichen Genehmigungs- oder Anmeldeverfahren. Auch müssen genmanipulierte Produkte, die in ihrer Zusammensetzung „nicht mehr gleichwertig“ mit herkömmlichen Lebensmitteln sind, für den Verbraucher kenntlich gemacht werden. Doch jetzt schon ist klar, daß die Verbraucher erst einmal vergebens nach einer Gentech-Kennzeichnung suchen werden.

„Da hat die EU-Kommission, unterstützt von den Mitgliedstaaten, wirklich drei Monate tief geschlafen.“ Christiane Toussaint vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), dem Wortführer der Lebensmittelbranche, ist erbost. Es sei weder geklärt, was eigentlich mit „nicht mehr gleichwertig“ gemeint ist, noch wie das überhaupt geprüft werden soll. „Es ist nichts passiert auf Brüsseler Ebene“, meint die BLL-Vertreterin, der es vor allem um klare Vorgaben für die Industrie geht. Sie befürchtet, daß nicht nur die einzelnen EU-Staaten die Novel-Food-Verordnung unterschiedlich auslegen, auch die Bundesländer, die hierzulande für die Kontrolle der Kennzeichnungsvorschrift zuständig sind, könnten unterschiedliche Maßstäbe anlegen. Es ist durchaus möglich, sagt Toussaint, daß einzelne Überwachungsbehörden auch für das schon zugelassene Gentech-Soja und den Mais von Novartis eine Kennzeichnung verlangen.

Für Dagmar Roth-Berendt, die als SPD-Abgeordnete federführend bei der Verabschiedung der Novel-Food-Verordnung beteiligt war, ist ganz klar, daß auch diese Produkte unter die Kennzeichnungspflicht fallen: Andernfalls, so droht sie, „werde ich das vom Gerichtshof klären lassen“.

„Auch mit der Novel-Food- Verordnung bleiben die Gentech- Lebensmittel in Europa inkognito“, urteilt dagegen die Europaabgeordnete der Grünen, Hiltrud Breyer. „Die fehlenden Ausführungsbestimmungen zur Kennzeichnung machen eine praktikable Umsetzung im Sinne des Verbraucherschutzes unmöglich.“ Es sei ja noch nicht einmal geklärt, wie gekennzeichnet werden soll.

Obwohl sie in der Novel-Food- Verordnung vorgesehen sind, wird es vorerst keine einheitlichen Ausführungsbestimmungen geben. Bei neu angemeldeten Produkten wird es jeweils Einzelfallentscheidungen geben. Vermutlich wird dann auch mit dem Genehmigungsbescheid festgelegt, bis zu welcher Verarbeitungsstufe eine Kennzeichnung erfolgen muß. Ob nicht nur die Gentech-Kartoffel etikettiert werden muß, sondern auch die Fertigknödel, der Brei oder die Pommes frites, vielleicht sogar die Kartoffelstärke. Entscheidend wird sein, darüber scheint in Brüssel Konsens zu bestehen, ob im Produkt noch manipulierte Gene vorhanden sind. Ob jedoch bereits ein winziges Stück veränderten Erbguts ausreicht, damit eine Kennzeichnung erfolgen muß, ist offen.

„Das steht zwar so in der Verordnung drin, aber darüber hat jetzt eine Diskussion stattgefunden, ob das auch wirklich so gemeint ist“, berichtet Georg Schreiber vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) in Berlin, das zusammen mit dem Robert-Koch-Institut künftig für die EU-weiten Zulassungsverfahren zuständig sein wird. Denn das Nachweisverfahren für verändertes Erbgut, die Polymerasekettenreaktion, ist so empfindlich, daß damit in 1.000 Sojabohnen selbst eine einzelne Gentech-Bohne aufgefunden werden kann. Kleinste Verunreinigungen in einem Tanklastzug oder Frachtschiff genügen schon, um eine ganze Ladung zur Gentech-Lieferungen zu machen.