Türkische Polizei stürmt privaten Fernsehsender

■ Sendeanlagen demontiert. Anlaß ist offenbar ein Telefoninterview mit einem prominenten Mafioso, der sich als ein guter Bekannter der Familie Çiller vorstellte

Istanbul (taz) – „Die bewaffneten Banden sind an der Macht“, sagte der Vorsitzende des Gewerkschaftverbandes DISK, nachdem türkische Polizisten den Hauptsitz des privaten Fernsehsenders Flash TV gestürmt und den Sender zum Schweigen gebracht hatten. Beamte des Ministeriums für Verkehr und Kommunikation hatten Samstag nachmittag in Begleitung mehrerer Hundertschaften Polizei für den Betrieb notwendige Einrichtungen im Sender demontiert. Das Vorgehen der Beamten, die nicht einmal eine schriftliche Verfügung vorwiesen, wurde live gesendet. „Was sie machen, ist rechtswidrig. Ohne mich zu verhaften, werden sie den Sender nicht schließen können!“ schrie Ömer Göktug, Vorstandsvorsitzender des Konzerns, dem Flash TV gehört. Mit der mündlichen Begründung, daß einzelne technische Geräte nicht konzessioniert seien, wurde der Sender, der seit sechs Jahren in Betrieb ist, geschlossen.

Offensichtlicher Grund für die Polizeiaktion war ein Telefoninterview mit dem prominenten Mafioso Alaettin Cakici, der flüchtig ist. Cakici richtete schwere Anschuldigungen gegen die türkische Außenministerin Tansu Çiller und ihren Ehemann. 20 Millionen US- Dollar Schmiergeld habe Herr Çiller von Interessenten, die die Privatbank Ticaret Bankasi kaufen wollten, verlangt. Zu einer Einigung sei es nicht gekommen. Der Konkurs der Privatbank unter dem Management des Bankiers Çiller ist der Beginn des unerklärlichen Reichtums der Çiller-Familie, die auch Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchungskommission war. Das Telefoninterview des Mafioso Cakici, der Familie Çiller gut zu kennen schien und rüde Ausdrücke für seine Expartner benutzte, erregte Ankara. Am Freitag stürmten mehrere Dutzend bewaffnete Männer in die Istanbuler Studios von Flash TV, zerstörten die Einrichtung, schossen wild um sich und suchten nach den Verantwortlichen der besagten Sendung. Obwohl der Sender in unmittelbarer Nähe des US-Konsulats und eines personell gut ausgestatteten Polizeireviers liegt, erschienen die Sicherheitskräfte erst, nachdem die Bewaffneten den Sender verwüstet un den Tatort verlassen hatten. Keiner der Täter wurde gefaßt. Nur einen Tag später stürmte dann Polizei den Hauptsitz des Senders. Mehrere tausend Menschen versammelten sich nach den Vorfällen spontan vor der Fernsehanstalt. „Çiller ist die Mafia“, hieß es in Parolen. „Das ist das letzte Geflatter von Çiller, bevor sie in die USA flieht“, sagte der Vorsitzende der Arbeiterpartei, Dogu Perincek. Die Frage, ob die Außenministerin zuerst Kriminelle, dann Polizisten benutzt, um unliebsame Medien zur Strecke zu bringen, wird öffentlich gestellt. Abgeordnete der islamistischen Wohlfahrtspartei forderten Ministerpräsident Erbakan auf, gegen die illegale Schließung des Senders zu intervenieren. Auch Staatspräsident Süleyman Demirel betonte, er werde nichts „Rechtswidriges“ zulassen. In der Nacht auf Sonntag konnte Flash TV wieder in Teilen der Türkei empfangen werden.

Düsterer sieht die Zukunft der Istanbuler Tageszeitung Demokrasi aus, die über Repression in den kurdischen Gebieten berichtet. Das Staatssicherheitsgericht Istanbul hat die Zeitung wegen eines Kommentars vom August letzten Jahres für einen Monat verboten. Seit dem Wochenende darf Demokrasi nicht mehr erscheinen. Während im „Verein für Menschenrechte“ in Istanbul gegen das Verbot protestiert und der 78 Journalisten, die wegen ihrer Artikel im Gefängnis einsitzen, gedacht wurde, ließ Außenministerin Tansu Çiller anläßlich des „Tages der Pressefreiheit“ eine Erklärung verbreiten: Die Pressefreiheit – so die Außenministerin – sei nicht grenzenlos. Ömer Erzeren