Das Schweigen der Enkel

■ Hamburgs SPD hat keinen linken Flügel mehr, der sich dem vom Parteitag beschlossenen Rechtskurs widersetzen würde

Nein, wir sind gar nicht gegen das Wahlprogramm. Es ist auch unser Programm.“Altonas SPD-Chef Olaf Scholz, der sich selbst als „SPD-Linker“verortet, bringt es auf den Punkt: Die Elb-Sozis haben keinen linken Parteiflügel mehr, der sich durch programmatische Eigenständigkeit, reformökologisches Profil oder personelle Alternativen dem rechtsgestrickten Voscherau-Kurs widersetzt.

Noch vor vier Jahren sah das ganz anders aus. Stadtchef Henning Voscherau, angeschlagen durch seine Wahlniederlage am 19. September 1993, jammerte lauthals über den vermeintlichen Würgegriff der Parteilinken, die ihm eine rot-grüne Koalition aufnötigen wollten. Damit nicht genug: Kaum hatte Voscherau sich in die rot-graue Kooperation mit der Statt Partei gerettet, wurde Anfang 1994 der – einstmals – erklärte Voscherau-Gegner Jörg Kuhbier zum Parteivorsitzenden gewählt.

Doch der linke Kuhbier, angetreten, um die Partei gegen die Übermacht von Senat und Verwaltung inhaltlich wieder nach vorn zu bringen, erwies sich schon bald als effizienter Parteisoldat. Seine oberste Arbeitsmaxime lautet, „die Primadonna Voscherau“im Dreieck von Senat, Partei und Fraktion bei Laune zu halten. Dabei verläuft zwar nicht alles nach dem Diktat des Bürgermeisters. Voscherau hat es aber durchaus zu schätzen gelernt, daß auf die kleinen Deals hinter verschlossenen Türen mit Kuhbier Verlaß ist.

Parallel dazu hat er die einst mächtigen Kungelclubs Övelgönner Kreis (SPD-Linke) und Keller-Parlament (Rechte) durch eine konsequente Personalpolitik a la Helmut Kohl in harmlose Kaffeekränzchen verwandeln können. Auch die Senatsposten werden nicht mehr nach Flügelproporz vergeben, sondern von Voscherau zugeteilt.

Ähnlich wie in der Bundes-CDU hat diese taktische Machtpolitik nicht nur das Aufkommen von Nebenbuhlern verhindert, es hat auch das programmatische Profil der SPD ausgedünnt. Neue Konzepte in der Bildungs-, Arbeits-, Wirtschafts-, Sozial- und Wohnungspolitik sind nicht in Sicht. Voscheraus „Essentials“einer Standort- und Wachstumspolitik nach Art der 60er Jahre sind inzwischen zum Katechismus der Hamburger Sozialdemokratie geworden. Altenwerder muß einfach Hafen werden“, meint nicht nur Olaf Scholz.

Den Weg zurück in die Zukunft von High-Tech, Privatisierungswut und Law-and-Order-Forderungen weist auch das von der Parteilinken maßgeblich bestimmte Wahlprogramm 1997, das am Wochenende auf dem Landesparteitag verabschiedet wurde. Dessen Motto steht unmißverständlich im ersten Satz: „Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten regieren Hamburg seit 40 Jahren ununterbrochen gut und erfolgreich.“Die Hamburger Enkel Willy Brandts, zu Schoßhündchen Helmut Schmidts mutiert, schweigen zu dieser Behauptung ebenso wie zu einer anderen Formulierung im Wahlprogramm: „Bürgermeister Henning Voscherau und die Hamburger SPD bieten mit Wirklichkeitssinn und praktischer Vernunft sichtbare Alternativen gegen den Niedergang von Arbeit und Wohlstand.“ Florian Marten