Berlin - "höchstens Halbmetropole"

■ Interview mit Ralf Dahrendorf, Teilnehmer des FU-Symposiums zu "Berlin. Metropole im Europa der Zukunft". Berlin wird sich auch in der Zukunft nicht mit London oder Tokio messen können, meint der praktiz

Professor Ralf Dahrendorf, früherer Leiter der London School of Economics und ehemaliges FDP- Mitglied, ist einer der sozialliberalen Vordenker in Europa. Seit 1988 ist er Leiter des St. Anthony's College in Oxford.

taz: Herr Dahrendorf, das heutige Symposium steht unter dem Titel „Berlin. Metropole im Europa der Zukunft“. Sie sind praktizierender Europäer, ein deutscher Soziologe, der im britischen Oxford lehrt. Wie betrachten Sie mit dem Blick aus Großbritanien die Zukunft der Metropole Berlin?

Ralf Dahrendorf: Ich betrachte Berlin mit dem Blick aus London. Zunächst muß man einmal realistisch sein. Eine Metropole wie London und in eingeschränktem Maße auch Paris wird es in Europa nicht noch mal geben – wegen der Verbindung von Politik, Wirtschaft, Kultur, Sprache. Berlin wird wie zwei, drei andere europäische Städte eine – ich möchte fast sagen – Halbmetropole sein. Wichtig ist Berlin in mancher Hinsicht, aber kein Zentrum für alles. Und ich halte es für sehr wichtig, daß man in den Erwartungen an Berlin realistisch ist. Und die große Frage ist ganz offenkundig: Wird Berlin es schaffen, der Ort zu sein, an dem das ganze Europa sich versammelt? Dabei würde man sagen, das Schwurgericht ist noch nicht zurückgekehrt von seinen Beratungen, die Entscheidung ist noch offen.

Sie sehen die künftige Rolle Berlins als Drehscheibe zwischen Ost und West?

Keine Drehscheibe; die dreht sich immer nur und bewegt sich selbst nicht. Nein, Berlin wird ein Zentrum sein, in dem man einen direkten Sinn dafür bekommt, was die Leute in Warschau und wohl auch in Kiew bewegt. Und zugleich ist man in einem unbestreitbaren Teil des Westens.

Ist es die sinnliche Erfahrbarkeit von Ost und West, was Berlin interessant macht?

Das ist das eine. Verbunden sind damit aber auch die unterschiedlichen Erfahrungen der Nachkriegszeit. Schließlich hat das östliche Deutschland – genau wie die übrigen nachkommunistischen Länder – kein Wirtschaftswunder erlebt, keine Amerikanisierung. Und hat damit einen anderen Hintergrund, mit dem es an die heutigen großen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fragen herangeht. Das ist ein Element, das man nicht einfach unter einem gleichmacherischen Gesamtdenken verschwinden lassen darf. Das ist es, was viele in Großbritanien mit Berlin verbinden würden. Berlin ist eben anders. Berlin ist nicht einfach ein größeres Bonn oder ein anderes Frankfurt. Da ist noch ein anderes Element drin, und das ist sicher das des größeren Europa.

Sie sagten vorhin, man muß realistisch bleiben. Nun sind die Hoffnungen auf eine europäische Metropole Berlin sehr groß. Warum kann Berlin Ihrer Ansicht nach keine Metropole werden?

So was wird man ganz schwer. Es gibt ganz wenige in der Welt, die in diesem Sinne Metropole sind. Ich glaube nicht, daß Berlin ein ganz großes Finanzzentrum wird, so sehr es sich auch anstrengt. Ich glaube auch nicht, daß es in dem Sinne das große deutsche Kulturzentrum wird. Das kulturelle Leben wird in Deutschland immer dezentral bleiben, viel mehr als in Frankreich und in England. Und da gibt es Dinge, die soll man sich gar nicht vornehmen. Jedenfalls nicht mit einem Anspruch, der sich nachher nicht einlösen läßt.

Ist es so, daß Berlin als Metropole nicht gebraucht wird, oder fehlt es der Stadt an etwas?

Nein, es ist eigentlich so, daß Deutschland an sich immer eher dezentralisiert war. Man spricht jetzt von den zwanziger Jahren, auch von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, aber auch damals gab es mehrere Zentren. Und Berlin war es nur in einiger Hinsicht. Die Gerichte waren in Leipzig, die Kunst war immer in München, und der Handel war in Hamburg. Es ist eingebaut in die deutsche Geschichte, daß es nicht ein großes Zentrum gibt. Und ohne das einzige Zentrum des Landes zu sein, wird man nicht zur Metropole für Europa oder die Welt. Schon New York hat es schwierig weil die Politik in Washington ist. Paris, London, Tokio – damit hat es sich dann auch schon.

Was könnte Berlin von der Entwicklung der Metropolen lernen?

Ich würde es in einem Wort mal so sagen: Weniger Pomp und mehr lebendiger Lebensstil wären vielleicht eine gute Sache. Es muß leben, es muß von innen her leben. Die Leute müssen Spaß dran haben. Deshalb kommt es nicht darauf an, daß noch mehr großmächtige Gebäude hergestellt werden, sondern es kommt darauf an, daß Leute Spaß daran haben, in der Stadt zu sein. Interview: Barbara Junge