Keine Lira mehr für mehr Milch

In Italien erreicht die EU das Gegenteil von dem, was sie will: Nur jenen Bauern geht es gut, die nicht für den europäischen Markt produzieren  ■ Aus Terracina Tanja Busse

Der Stall ist an drei Seiten offen, mit einer Rampe in der Mitte, breit genug für den Trecker, der ein Kraftfuttergemisch ablädt. Roberto Caporuscio schaufelt das Futter nur noch nach rechts und links in die Krippe – das spart Zeit. Denn anschließend müssen er, seine Frau und Fabio, der junge Angestellte, noch 80 Kühe melken.

Die Azienda Bagnariol, 130 Rinder, 20 Hektar Land, davon 10 gepachtet, ist für italienische Verhältnisse ein Großbetrieb, der drittgrößte in der Umgebung von Terracina zwischen Rom und Neapel. Vor 14 Jahren haben Roberto und Flavia den Hof von Flavias Eltern übernommen. „Früher gab es hier noch für fünf Leute Arbeit, und das mit viel weniger Vieh.“ Roberto will nichts anderes als Bauer sein, aber als ein guter Bauer im Zeitalter der EU-Agrarpolitik mußte er auch Experte für künstliche Befruchtung, Betriebswirtschaftler und Investor werden.

Aus dem alten Hof von Flavias Eltern mit ein paar Kühen, Mastbullen und Gemüsegarten ist ein moderner Stall geworden. Einfach vor sich hin zu wurschteln mit der Mistgabel, das war nicht europatauglich. Schließlich verkündeten die Agrarminister in Brüssel Rationalisierung und Intensivierung der Landwirtschaft. Also mit wenig Arbeit viel Milch produzieren.

Flavia und Roberto investierten. Ein Förderprogramm der Region versprach Geld für Landwirte, die ihre Ställe vergrößern wollten. Acht Jahre nach Antragstellung trafen tatsächlich die Subventionen der Region Lazio ein. Aber zur gleichen Zeit entdeckten Brüssels Bürokraten Milchseen und Butterberge: Europaweit würde zuviel Milch produziert, das mußte verhindert werden. Die Direktive 876 der EU führte 1984 die Milchquoten ein: Jeder Bauer durfte nur noch eine bestimmte Menge Milch produzieren.

Während sich die pflichtgetreuen Deutschen überwiegend rasch an die Umsetzung der Direktive machten und Milchmengenkontrolleure die Kuhställe durchkämmten, übergingen die Italiener großzügig die merkwürdige Regelung. „Wir werden ja bestraft, als würden wir Drogen herstellen“, empört sich Roberto. Und Franco Chiumera, der Präsident einer Milcherzeuger-Kooperative, kann ihm nur recht geben. „Die Quotenregelung ist paradox“, sagt er. „Italien produziert sowieso nur 50 bis 60 Prozent seines Bedarfs an Milch. Und das soll jetzt auch noch verringert werden? Die EU verkündet die Quotenregelung, während die Region Lazio eifrig Subventionen für Stallvergrößerungen verteilt. Noch vor zwei Jahren wußten die Bauern nicht, ob die Quoten nun kommen oder nicht, und unsere Europaparlamentarier schlafen vor sich hin.“

Deutsche Milchbauern ärgern sich, daß die Italiener es mal wieder nicht so genau nehmen mit den Quoten, während sie selber kontrolliert werden. Und Italiens Landwirte stehen ratlos in ihren ausgebauten Ställen und fragen sich, wie sie ihre Schulden bezahlen sollen und warum ihnen keiner früher was von den Quoten gesagt hat. Heute sorgt eine saftige Kollektivstrafe aus Brüssel für die Beachtung der Quoten. Streiks und Autobahnbesetzungen haben da nicht viel geholfen.

„Als die Bauern 1983 nach ihrer Milchmenge gefragt wurden, um daraus die Quoten abzuleiten, gaben sie eine viel geringere Menge an – aus Angst vor den Steuern“, erinnert sich Franco Chiumera. „Und so wurden bei der Reduzierung die sowieso schon zu niedrig angegebenen Mengen zugrunde gelegt und noch weiter heruntergeschraubt. Und die Bauern können ihre Ställe nun überhaupt nicht mehr auslasten.“

Wie Roberto in Terracina. „Klar, wir könnten eigentlich noch mehr Milch produzieren, von der Größe der Ställe her“, sagt er. Zumachen jedoch wollen Roberto und Flavia nicht. „Diese verdammte Quotenregelung gesteht es allen Bauern zu, langsam und leise zu sterben. Wir wollen lieber einen freien Markt, auf dem sich dann eben die Besten behaupten.“ Aber auch Roberto weiß, daß die deutschen Bauern die Milch noch billiger als er verkaufen.

Da helfen auch all die vordem wichtigen und großen Organisationen nicht, die die Bauern vertreten. Sandro Salvadori, Präsident einer linken Bauerngewerkschaft im nahen Latina, hat nur noch wenig gemein mit jenen historischen Figuren, die einst die Interessen der Landarbeiter gegen die der Großgrundbesitzer und kleinen Eigentümer verteidigt haben. Die Politik wird bestimmt von der gemeinsamen Angst vor Europa und neuen Einfällen der Brüsseler Bürokraten. „Bei uns geht es vielen Bauern noch relativ gut. Aber nur denen, die nicht für den europäischen Markt produzieren. Die Ballungsräume um Rom und Neapel mit fast zehn Millionen Menschen sind ein riesiges Absatzgebiet. 90 Prozent der Bauern verkaufen ihre Waren auf den Märkten oder auf der Straße. Und diesen kleinen Gemüsebauern geht es oft besser als den Landwirten, die Milch oder Weizen unter EU-Bedingungen produzieren.“ Nach Salvadori hat die EU-Agrarpolitik genau das Gegenteil erreicht von dem, was sie eigentlich wollte.

Bauern, die wie Flavia und Roberto auf Professionalität gesetzt haben, stehen da mit ihren hundert Kühen und wissen nicht, wohin mit der Milch, während die kleinen Nebenerwerbsbauern mit ihren zwei, drei Hektar irgendwie über die Runden kommen.