Wehret den Schnittblumen

Die Europäische Union macht sich mit ihrer aggressiven Landwirtschaftspolitik weder innerhalb noch außerhalb ihrer Grenzen Freunde  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Kartoffeln sind ein ganz heißes Thema in der Europäischen Union. Die Handelsverträge mit Polen oder mit den baltischen Staaten wären fast daran gescheitert. Auch Sauerkirschen und Schnittblumen liegen den Diplomaten schwer im Magen. Wann immer sich die EU mit Partnerländern über mehr Freihandel verständigen will, legen die EU-Landwirtschaftsminister eine lange Liste von Produkten vor, für die auch weiterhin eine Einfuhrbeschränkung gelten müsse, weil sonst die Landwirtschaft in den Ruin getrieben würde. Denn die EU hat von allem selbst mehr als genug.

Abgesehen von Südfrüchten, Reis und tropischem Obst, das bei uns einfach nicht so recht wachsen will, stellt die Produktion die EU jedes Jahr aufs neue vor eine gewaltige Herausforderung: Wie kann man der Überschüsse Herr werden, ohne die Einkommen der Bauern zu schmälern? Denn darum geht es bei der EU-Agrarpolitik. Das System der Garantiepreise für die Bauern, das in den 60er und 70er Jahren eingeführt wurde, um die Ernährung sicherzustellen, ist aus dem Ruder gelaufen. Es ist ziemlich kompliziert, im Prinzip aber leicht zu verstehen: Wenn der Preis wegen übergroßen Angebots unter eine bestimmte Schwelle sinkt, kauft die EU soviel Fleisch oder Milch auf, bis der Preis wieder anzieht.

Doch Rationalisierung und Fortschritt ermöglichen heute Ernten, die sich vor 30 Jahren niemand vorstellen konnte. Etwa Mitte der 70er Jahre überschritt die Europäische Gemeinschaft, wie sie damals hieß, bei den meisten Produkten den sogenannten Selbstversorgungsgrad. Das heißt: die Bauern ernteten mehr, als die Bevölkerung verdauen konnte. Doch das System der Garantiepreise wurde beibehalten.

Seitdem kämpft die EU gegen die Überschüsse. Nach dem Motto: wer mehr produziert, verdient mehr, haben die landwirtschaftlichen Betriebe ihre Produktion angekurbelt, haben rationalisiert und ausgebaut – mit Krediten aus dem EU-Agrarfonds. 1992 stand das System vor dem Kollaps, die EU- Regierungen zogen die Notbremse, aber nur ein bißchen. Die Bauernverbände tobten ohnehin schon genug, in Brüssel wurden Misthaufen abgeladen.

Also wurde das Garantiepreissystem beibehalten, aber auf einer etwas niedrigeren Stufe. Bei Milch und Fleisch wurden zudem Mengenbegrenzungen eingeführt. Um die Einnahmeausfälle für die Bauern auszugleichen, legten die Agrarminister direkte Finanzhilfen fest. Einschließlich der verschiedenen Stillegungsprämien beziehen die Bauern in der EU seitdem rund ein Drittel bis zur Hälfte ihres Einkommens direkt aus Brüssel, unabhängig davon, wieviel sie produzieren. Die Überschüsse sind etwas kleiner geworden, verschwunden sind sie nicht. Rund 1,5 Milliarden Mark gibt die EU zum Beispiel jährlich dafür aus, unverkäuflichen Wein zu Schnaps zu brennen, der dann mit 98 Prozent Verlust an brasilianische Tankstellen verkauft wird. 10 Prozent der Obsternte wird von der EU nach dem Aufkaufen gleich vernichtet.

Besonders umstritten aber sind die Ausfuhrerstattungen. Damit auch in Länder exportiert werden kann, in denen die Preise niedriger sind, zahlt die EU dem Exporteur den Preisunterschied. Vor allem in vielen afrikanischen Ländern ist EU-Fleisch für unter drei Mark das Kilo zu haben, die einheimischen Bauern können da oft nicht mehr mithalten. Natürlich werden auch landwirtschaftliche Produkte in die EU eingeführt, Pferdefleisch zum Beispiel zu fast 70 Prozent, Obst und Gemüse im Winter, argentinisches Rindfleisch oder Wein aus Südafrika. Doch dafür müssen Zölle gezahlt werden, die Agrarabgaben heißen, weil Zölle nach Protektionismus klingen.

Aber der Export in die EU lohnt sich nur, wenn die Produzenten in den Herkunftsländern so wenig Geld dafür bekommen, daß sie trotz der Abgaben noch konkurrenzfähig sind. Obwohl die EU mit immer mehr Ländern Freihandelsabkommen schließt, hat sich an dem landwirtschaftlichen Exportüberschuß wenig geändert. Denn außer mit den USA oder Japan verhandelt die EU immer mit Schwächeren und diktiert unter dem Druck der Bauernverbände die Bedingungen: weitgehend freier Handel mit EU-Produkten, aber Ausnahmen bei den landwirtschaftlichen Einfuhren. Selbst nach Polen, wo 25 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten, pumpt die EU mit ihren Exporterstattungen mehr Agrargüter, als sie von dort einführt.