Der Werdegang einer furchtbaren Juristin

Man nannte sie die „rote Freislerin“. Sie verkündete die Todesurteile in den Schauprozessen der frühen DDR und bestimmte 14 Jahre als Justizministerin die Rechtsprechung. Andrea Feths Biographie über Hilde Benjamin  ■ Von Falco Werkentin

Es bedurfte kaum mehr als zehn Schauprozesse des Obersten Gerichts zu Beginn der 50er Jahre, um Hilde Benjamins Namen zum Inbegriff stalinistischer Terrorjustiz in der Ära Ulbricht werden zu lassen. Sieht man sie in den zu jener Zeit von der DEFA aufgenommenen Verhandlungsausschnitten, so wirken Ton und Bild heute wie eine gespenstische Selbstdenunziation.

Nun ist die erste Biographie über die Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR zwischen 1950 und 1953 und der bis 1967 amtierenden Justizministerin erschienen, eine Disseration an der FU-Berlin. Hilde Benjamins Lebensweg ist typisch für eine ganze Generation von bürgerlichen Intellektuellen, die sich in den 20er Jahren der KPD anschlossen. 1902 in Bernburg als Tochter eines Prokuristen geboren, machte sie 1920 in Berlin das Abitur und studierte bis 1924 Rechtswissenschaften. Befreundet mit der Schwester des Philosophen Walter Benjamin, lernte sie dessen Bruder Georg kennen, den sie 1926 heiratete. Seit 1925 SPD-Mitglied, wechselt sie 1927 zur KPD, eröffnet 1929 eine eigene Anwaltskanzlei und wurde Aktivistin in der KPD-geführten „Roten Hilfe“. Mit Beginn der NS- Diktatur wurde die Anwaltszulassung entzogen, den Ehemann und Vater ihres Sohnes Michael verlor sie 1942, ermordet in Mauthausen. Die Eroberung Berlins durch die Rote Armee erlebte sie als dienstverpflichtete Arbeiterin in einer Textilfabrik zu Recht als Befreiung. Es folgte die steile Justizkarriere in der SBZ/DDR. Zwischen 1946 und 1949, nun SED-Mitglied, leitete sie die Personalabteilung der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz und trug entscheidend dazu bei, ein Korps von Justizfunktionären zu schaffen, die sich erneut nicht als Wahrer des Rechts, sondern als Exekutoren des diktatorischen Willens der SED verhielten. Anschließend war sie bis 1953 Vizepräsidentin des Obersten Gerichts.

Deutlich ist dem Urteil der Autorin Andrea Feth zu widersprechen, daß mit Benjamins Antritt als Justizministerin im Juli 1953 die Zeit der „schmutzigen Arbeit“ vorbei gewesen sei, da sie sich nun auf den Aufbau der Justiz und die Entwicklung einer sozialistischen Gesetzgebung konzentrieren konnte. Hier verkennt die Autorin elementar das politische System der DDR und die Entscheidungsbefugnis jener Justizfunktionäre, die in politischen Verfahren als RichterInnen auftraten. Auch eine Benjamin verkündete nur Urteilssprüche, die sie nicht selbst gefällt hatte, sondern die von SED-Gremien vorab festgelegt worden waren. Dies läßt sich gerade anhand der Akten zu den 13 Schauprozessen zeigen, denen sie formal vorstand. Ihre gewichtige Rolle im System der SED-Diktatur läßt sich am wenigsten am Auftreten in den von ihr geleiteten Prozessen ausmachen, die in den 50er Jahren ihren Ruf als „rote Freislerin“ oder „blutige Hilde“ begründeten. Weit bedeutsamer war ihre tragende Rolle in den informellen Konsultationsgremien der Parteiführung, wenn es um Justizfragen und gerichtliche Einzelentscheidungen ging. Hier hat Benjamin weit über das Jahr 1953 hinaus mehr Todes- und sonstige Terrorurteile auf den Weg gebracht als je in ihrer dreijährigen Funktion beim Obersten Gericht.

Wann immer besonders heikle Fragen zu entscheiden waren, Hilde Benjamin zählte zu jenem engen Kreis aus dem Innenhof der Macht, der Entscheidungen der Parteiführung vorbereitete. Dabei argumentierte sie mit besonderer Härte unter Mißachtung aller rechtlichen Erwägungen und scheute sich nicht, wiederholt Kollegen bei der Parteiführung des „Liberalismus“ zu verdächtigen. So denunzierte sie Fechner, den Vorgänger im Amt des Justizministers, nach dessen Verhaftung. Er hatte es gewagt, nach dem 17. Juni 1953 im Neuen Deutschland an das in der Verfassung garantierte Streikrecht zu erinnern.

Ging es um echte oder vermeintliche Gegner des Systems, um echte oder vermeintliche NS- Verbrecher, vertrat sie eine Position des puren Machtkalküls, so zum Beispiel in einem Schreiben vom April 1955 an Otto Grotewohl, Ministerpräsident der DDR. Es ging um die Frage weiterer Entlassungen von Häftlingen, die zwischen 1945 und 1949 von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt worden waren und ab 1950 im Strafvollzug der DDR saßen. Zunächst feststellend, daß es sich bei den noch in Haft Befindlichen hauptsächlich um Personen handle, „denen keine unmittelbare persönliche Schuld, sondern eine sogenannte Kollektivschuld zur Last fällt“, kommt sie zum Schluß, sie gleichwohl in Haft zu belassen. Denn „diese Menschen sind als Personen einzuschätzen, die überwiegend keine positive Einstellung zur DDR haben werden“. Gewiß läßt sich die Person Benjamin nicht auf den Begriff der „blutigen Hilde“ reduzieren. Zu Recht schildert Andrea Feth auch andere Seiten dieser Frau, so etwa ihre Rolle bei der Zivil- und Familiengesetzgebung der DDR, bei der Sicherung von Frauenrechten. Doch insgesamt bedient die Autorin, gerade auch in der Interpretation von Benjamin-Vorlagen zum neuen politischen Strafrecht aus dem Jahre 1957, affirmative Interessen, die mit der Person Benjamins zugleich die DDR-Justiz verharmlost wissen wollen. Uwe Wesels triumphale Rezension des Buches in der Zeit zeugt davon.

So unverzichtbar es ist, will man dieser Frau gerecht werden, ihre eigene Leidensgeschichte deutlich sichtbar werden zu lassen, so fragwürdig bleibt der Versuch einer objektiven Darstellung, der das massenhafte Leid jener aus dem Blick gerät, über deren Schicksal Benjamin bis zur sogenannten zweiten Justizreform im Jahre 1963 mitentschieden hat.

Eugen Kogon hat in seinem Buch „Der SS-Staat“ die persönlichkeitszerstörenden Wirkungen der Leidensgeschichte von NS- Verfolgten beschrieben und angedeutet, daß die Gepeinigten Gefahr liefen, Züge ihrer Peiniger zu übernehmen. Es scheint, daß auch Benjamins Verfolgungsgeschichte ihr diesen furchtbaren Preis aufzwang – sie erst Opfer dann TäterIn wurde. Angesichts einer Bundesrepublik, in der bis in die frühen 60er Jahre noch Richter Recht sprechen konnten, die in der NS- Zeit aus nichtigsten Anlässen mehr Todesurteile gefällt hatten, als die gesamte DDR-Justiz, bleibt es indes unangemessen, Benjamin mit Freisler gleichzustellen, wie es unlängst Rudolf Wassermann (pensionierter Präsident des Oberlandesgericht Braunschweig) tat. Die vielen kleinen Freisler, sie saßen nach 1945 im bundesdeutschen Justizdienst. Zwar fielen sie nicht mehr durch mörderische Urteile auf, dafür um so mehr durch die rechtsbeugerische Begünstigung von NS-Verbrechern.

Andrea Feth: „Hilde Benjamin – Eine Biographie“. Berlin Verlag Arno Spitz 1997, 278 S., 49 DM