„Bandenchefin“ Çiller unter Beschuß

■ Oppositionspolitiker kritisieren Sturm auf TV-Sender. Medien wollen sich wehren – notfalls auch mit Gewalt

Istanbul (taz) – Nach einem angeblich von Tansu Çiller gedeckten Überfall auf den türkischen TV-Sender Flash TV kommt die Außenministerin immer mehr unter Druck. Oppositionspolitiker erheben schwere Vorwürfe gegen die stellvertretende Ministerpräsidentin. „Die Räuberbanden sind an der Macht. Für eine saubere Gesellschaft müssen wir gegen sie kämpfen“, sagte Oppositionsführer Mesut Yilmaz von der Mutterlandspartei. Die Politiker beschuldigen Çiller indirekt, Kriminelle einzusetzen, um gegen kritische Medien vorzugehen.

Der Privatsender Flash TV war am Samstag Ziel einer rechtswidrigen Polizeirazzia geworden. Einen Tag zuvor hatten mehrere Dutzend Männer von der Polizei unbehelligt im Zentrum Istanbuls das Studio des Senders verwüstet.

Der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei, Deniz Baykal, sprach gestern davon, daß Çiller den Kriminellen, die Flash TV verwüsteten, Mut gemacht und schließlich Sicherheitskräfte für ihre „Rachegelüste“ eingesetzt habe. Der Generalsekretär der Partei, Adnan Keskin, wurde noch deutlicher: „Hinter jedem Dreck steckt Familie Çiller. Der Angriff auf den Sender fand Wohlwollen und Schutz der Regierung.“

Die Çiller treu ergebene Innenministerin Meral Aksener weicht Fragen im Zusammenhang mit Flash TV aus. Weder die Rechtsgrundlage der Polizeirazzia sei geklärt noch die Frage, wie mehrere Dutzend Kriminelle im Zentrum der Stadt zehn Minuten in die Luft schießen und dann seelenruhig in ihre Limousinen steigen konnten.

In Medienkreisen herrscht Panik. Chefredakteure von Tageszeitungen und Fernsehanstalten, die Sonntag abend in einer live gesendeten Diskussionsrunde zusammenkamen, waren sich einig, daß das Rechtssystem in der Türkei zusammengebrochen sei. „Falls Banden unsere Zeitung stürmen, haben wir gute Leute, die schießen können“, sagte der Chefredakteur der Tageszeitung Radikal, Mehmet Yilmaz. Der Kolumnist der Tageszeitung Hürriyet, Oktay Eksi, listete Çillers dunkle Vergangenheit auf: unter anderem die Bombardierung der kurdischen Tageszeitung Özgür Ülke 1994. Die jetzige Innenministerin Meral Aksener drohte September vergangenen Jahres nach Çiller-kritischen Berichten den Tageszeitungen Hürriyet und Milliyet mit Vergeltungsaktionen durch „fanatische Çiller-Anhänger“. „Wir sind Tausende Jugendliche, die bereit sind, für Çiller zu sterben“, hieß es in einem Brief der Frauen- und Jugendverbände der Partei. „Leute wie euch bringen wir zum Schweigen.“ Ömer Erzeren