Fremde sind in Moskau unerwünscht

In Rußlands Hauptstadt machen Behörden jetzt Jagd auf Migranten. In vier Monaten feiert die Metropole ihr 850jähriges Jubiläum. Und bis dahin soll die Stadt „gesäubert“ sein  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Elf Quadratmeter nennt Emma Zaturowa ihr eigen. In einem Verschlag im Keller eines Wohnhauses im Zentrum Moskaus haust die 75jährige Rentnerin seit nunmehr über fünf Jahren. Sie hat es sich dort gemütlich gemacht. Ohne Wasser, ohne Gas und ohne ein Fenster. Aber: „Immerhin ein Dach überm Kopf.“

Flüchtlinge, die es nach dem Zerfall der Sowjetunion und ethnischen Konflikten in Rußland in die Hauptstadt verschlagen hat, sind bescheiden. Emma Zaturowas größte Errungenschaft war das Klobecken, das die Veteranin des „Großen Vaterländischen Krieges“ als Dankeschön zum 50. Jahrestag des Sieges über Hitler- Deutschland erhalten hat. Im Juli droht der Rentnerin, die Ende der achtziger Jahre vor antiarmenischen Pogromen aus der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku flüchtete, Obdachlosigkeit.

Als das Klobecken die Remise nach russischen Standards bewohnbar machte, meldete Nachbarin Zoa Lasarewa ihren Anspruch an. Die pensionierte Pförtnerin des Wohnhauses an der Twerskajastraße meint, ihr stehe der „nicht rechtens privatisierte“ Wohnraum zu. Schließlich teile sie die eigene Wohnung mit der verheirateten Tochter und siebzehn Katzen, die nach einer neuen Bleibe verlangen. Sie brachte die Sache vor Gericht, das am 21. Juli entscheiden soll. Frau Lasarewa kennt kein Pardon: „Die Fremden müssen rausgeworfen werden“, sagt sie, „mir tun Katzen leid, aber keine Armenier.“

Zugegeben, der Fall Emma Zaturowa ist ein besonders krasses Beispiel des alltäglichen Rassismus in Rußland. Doch handelt es sich dabei keineswegs um einen Einzelfall. Moskaus städtische Behörden arbeiten daran, bis zum Auftakt des 850. Jubiläums der Metropole im September die Stadt von nicht erwünschten Ausländern zu „säubern“. Etliche Gerichte befassen sich in den letzten Wochen damit, Flüchtlingen das Recht streitig zu machen, in den meist heruntergekommenen ehemaligen Hotels oder Wohnheimen, die als Notunterkünfte dienen, bleiben zu können. Ganze Belegschaften werden kollektiv abgeurteilt, ohne, wie es das Gesetz verlangt, den Einzelfall zu prüfen. Die Verhandlungen finden meist unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt.

Die Lage der Flüchtlinge in Rußland ist katastrophal. Bis heute weigern sich die Behörden, Flüchtlingen einen schützenden rechtlichen Status zuzusprechen. Nur mit größter Mühe gelang es Abgeordneten der Staatsduma, in ein Gesetzesprojekt einen Nebensatz einzufügen, der das Schicksal der Flüchtlinge und Umsiedler zumindest am Rande streift. Darin verpflichtet sich die russische Regierung, „eine einheitliche Migrationspolitik durchzuführen“.

Daran hat sich die föderale Führung weitgehend gehalten, indem sie landesweit nichts unternahm und die Betroffenen ihrem Schicksal überließ. Obwohl Rußland im Koordinationsrat der Weltflüchtlingsorganisation an maßgeblicher Stelle mitwirken möchte, erfüllt es im eigenen Land nicht die elementarsten Voraussetzungen.

An die hundert nichtstaatliche Organisationen und Selbsthilfegruppen kümmern sich in Rußland mittlerweile um Übersiedler. Mehr als die allergrößte Not zu lindern, sind sie indes nicht imstande. In der Provinz handelt zudem jede Behörde nach eigenem Gutdünken. Moskaus beliebter Bürgermeister, Jurik Luschkow, ein glühender russischer Patriot, ließ schon früh eine Abneigung gegen Fremde in seiner Stadt erkennen. 1992 verbannte er erstmals Tschetschenen vor die Stadttore.

Zu seiner Ehrenrettung sei angemerkt, daß die Stadt selbst mit russischstämmigen Umsiedlern aus Tadschikistan und den mittelasiatischen Staaten des ehemaligen Imperiums kaum verständnisvoller verfährt. Ihnen wird ebenfalls das Aufenthaltsrecht verweigert, von dem wiederum eine Arbeitserlaubnis abhängt. 1995 ließ sich der Bürgermeister dann doch breitschlagen und stellte in Wostriakowo am Stadtrand den Wohnungssuchenden einen Komplex mit 180 Apartments zur Verfügung. Das Gesundheitsamt schaltete sich ein: Gefahr wegen hochgradig kontaminierter Umgebung.

Ohne Status und Papiere sind die Flüchtlinge in Moskau ständiger Repression und Willkür ausgesetzt. In Zusammenarbeit mit der Initiative Memorial stellt die Organisation der „Faktiwisten“ Flüchtlingen Papiere aus, die allerdings keine offizielle Gültigkeit besitzen. In einem angehefteten Begleitschreiben werden die Ordnungskräfte gebeten, doch Gnade vor Recht walten und die Flüchtlinge ziehen zu lassen.

In den vergangenen Wochen hatte diese subversive Maßnahme wenig Erfolg. Immer mehr Leute wurden aufgegriffen und in Polizeigewahrsam genommen. Das Innenministerium wies die Polizei an, derartige Schreiben nicht mehr anzuerkennen. Bei Memorial ist man sich noch nicht ganz sicher, ob diese Maßnahme die Stadt endgültig von Ausländern säubern oder ob sie dazu dienen soll, die Geldbeutel der Ordnungskräfte aufzufüllen.

Wie viele Flüchtlinge sich in Moskau aufhalten, ist nicht bekannt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil hält Kontaktaufnahme mit den zuständigen Stellen für nutzlos oder fürchtet, sein Schicksal dadurch gleich zu besiegeln. Allein aus Abchasien flüchteten 30.000 Georgier, die sich bei der georgischen Botschaft meldeten. Insgesamt dürften 60.000 in der Stadt sein. Rechnet man diese Zahlen auf die verschiedenen Konfliktregionen der letzten Jahre hoch, müßten weit mehr als eine halbe Million Flüchtlinge und Umsiedler in Moskau untergetaucht sein.