Billige Pillen per Versand

Noch wird der günstige Kauf über Post und Internet blockiert  ■ Von Eva-Maria Lecker

„Ärgern auch Sie sich Monat für Monat über Ihre überteuerte Antibabypille?“ Dieser Satz prangt von so mancher Zeitungsanzeige oder Postwurfsendungen und liefert gleich die Auflösung des Ärgers vieler Frauen: „Wir liefern Ihnen die Pille per Versand 58 Prozent billiger“, verspricht etwa das Unternehmen Express Medical Services. In Deutschland verstößt die Werbung für diesen Vertriebsweg zwar gegen §8 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG), aber Express Medical Services ist im Hamburger Telefonbuch unter Buchstabe E nur telefonisch zu erreichen – die georderten Medikamente kommen drei Wochen später aus London, egal ob Impfstoffe, Aknemittel oder Antibabypille. „Innerhalb der Europäischen Union ist die juristische Verfolgung aufgrund der nationalen Regelungen schon schwer genug“, klagt Johannes Pieck, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), „außerhalb Europas ist sie fast unmöglich.“ Denn auch aus Übersee kommen Dumpingangebote.

Doch die Gesundheitsvertreter sind daran nicht ganz schuldlos: Schließlich kann jeder auf Reisen immer wieder feststellen, daß vertraute Schmerzmittel oder Antiallergika im Ausland oft nur die Hälfte kosten. Die Apotheker schieben die Schuld der Pharmaindustrie und der Politik zu: Die Konzerne paßten sich dem Lohnniveau, der Kaufstruktur und dem Wettbewerb auf Auslandsmärkten an, wieviel das Medikament in der Herstellung ursprünglich koste, ist am Endpreis nicht mehr nachzuvollziehen. Hinzu kommt der hohe Mehrwertsteuersatz von 15 Prozent in Deutschland — in Großbritannien etwa wird keine Steuer auf Arzneien erhoben.

Offiziell fordern Krankenkassen und Gesundheitsminister „ein wettbewerbliches Nebeneinander neuer Vertriebssysteme“ nur innerhalb der Apotheken: Um Einsparpotentiale zu erzielen, sollten reine Versandapotheken gegründet werden. Mancher Patient könne auch von seiner vertrauten Apotheke per Post bedient werden. Und doch wurde erst im April die BKK Ecostahl in Eisenhüttenstadt durch Androhung eines Gerichtsverfahrens daran gehindert, ihre Mitglieder weiterhin aufzufordern, Rezepte bei ihr einzureichen, um sie preiswert mit Arzneien zu versorgen.

Woanders gibt es damit weniger Probleme: Rund ein Zehntel aller Medikamente beziehen Amerikaner seit Jahren über den Versandhandel. Auch in Belgien, Frankreich, Skandinavien und den Niederlanden bekommen chronisch Kranke oder Bewohner ländlich isolierter Gebiete Schmerztabletten und Hustensaft per Post. Unterstellt man, daß Apotheken bei einem Versand von Arzneien mit der Hälfte ihrer Handelsspanne auskommen müßten, so ergäben sich für Krankenkassen satte Kostensenkungen: Wenn nur eins von zehn Medikamenten nicht mehr über den Ladentisch ginge, würden rund 360 Millionen Mark eingespart.

Kein Wunder, daß sich die Apothekerverbände gegen solche Neuerungen aussprechen. Sie verweisen auf die Apothekerbetriebsordnung, wonach der Apotheker als Angehöriger eines Heilberufes rechtlich verpflichtet ist, den Patienten bei der Arzneimittelvergabe zu informieren und zu beraten. „Der Versand würde nicht nur ein Stück direkter menschlicher Kommunikation mehr aus der Gesellschaft nehmen“, sagt ABDA-Präsident Hans-Günther Friese. „Auch Wechselwirkungen, Doppelmedikation und Gegenanzeigen der Medikamente könnten wir nicht mehr kontrollieren.“

Eine Umfrage der Betriebskrankenkassen ergab, daß 1996 bis zu 50 Prozent der Arzneimittel falsch angewendet und über zwei Prozent der Krankenhausaufnahmen aufgrund vermeidbarer arzneimittelinduzierter Erkrankungen erfolgten. Hören die Deutschen also weder auf ihren Arzt noch auf ihren Apotheker? Im Internet ist das auch gar nicht nötig. Viele Medikamente, die in Deutschland nur gegen Rezept oder auch gar nicht zu bekommen sind, wie etwa das Verjüngungselexier Melatonin, werden im weltweiten Netz der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten unter Suchbegriffen wie MediCare, Health oder Drugs zu wahren Dumpingpreisen angeboten. Da auf diesem Vertriebsweg keine Sicherheit durch die Gefährdungshaftung des Herstellers besteht, vermutet ABDA-Geschäftsführer Pieck, daß Patienten „Opfer des skrupellosen Geschäfts mit Arzneimittelfälschungen werden können“. Interpol fahndet bereits in Italien, Spanien und Griechenland nach Medikamenten, die nur einen Bruchteil der angegebenen Wirkstoffe enthalten.