David

Sagt der Zensor zum Herrscher... Eine Geschichte  ■ von Ghazi Rabihavi

Da müßte einer schön dumm sein, das wäre doch wirklich dumm, Eure Exzellenz, mir ist etwas schwindelig, Sie haben ganz recht, Ihre Augen zu schließen und Ihren Kopf leicht nach hinten gegen die Kopfstütze zu lehnen, da meine Pflicht ist, Ihnen zu berichten, muß ich sagen, daß nichts passiert, nicht einmal bei den Schriftstellern.

Ich habe festgestellt, daß man in diesem bescheidenen Dienstraum seine Pfeife nicht raucht, sonst aber doch Pfeife raucht, ich weiß das, und nur das weiß ich, wenn Sie die Zeit hätten, ihre geschriebenen Schriftstücke zu lesen, aber das können Sie nicht, da es für die Gesundheit Eurer Exzellenz nicht bekömmlich ist, Zeit zu haben, selbst nicht mit geschlossenen Augen.

Meine Aufgabe ist lesen sehen hören und die Grenzen der Kunst zu schützen, natürlich haben wir bis auf weiteres auch ihren Konsum verboten, da sie, wie Sie sagen, nicht gehorchen, Hauptsache ist Kampf, nicht Nachsicht – Nachsicht? Einen Moment bitte, das Wörterbuch ist gleich zur Hand, geduldige Selbstkontrolle, Toleranz. Für wen? Für die, die unsere edle Kultur angreifen, glaubte ich Sie murmeln zu hören, es tut mir leid, aber wie Eure Exzellenz ganz richtig bemerkt haben, wir haben so viele Geschichten in unserer Kultur, also habe ich ihnen gesagt, sie sollen die alte Geschichte über Mullah Nasreddin und seinen Maulesel wiedererzählen, sie neu schreiben, so daß die Leute sich dran erfreuen können, sie mögen das, den Kampf zwischen Neuheit und Zivilisation. Sie können beruhigt sein, sie werden verboten bleiben, so lange sie unserer Mission, der Vergangenheit, keine Aufmerksamkeit schenken, jetzt, da unsere gesamte Existenz in der Vergangenheit liegt, lang lebe die Vergangenheit.

Einer dieser Schriftsteller hat eine Szene in einem Bus beschrieben, wo die Männer mit dem Rücken zu den Frauen sitzen, aber da gibt es zwei Sitze vor den Frauenbänken, wo man sich gegenübersitzen kann, ich schlage vor, daß wir einen Brief an die Stadtverwaltung schreiben, dann können sie die Busgesellschaft offiziell anweisen, diese beiden Sitze zu entfernen. Haben sie jemals darüber nachgedacht, wem diese Augenzwinkergeschichten am Ende nützen? Eben, der Sünde.

Was war das für ein Geräusch, das ab und zu mein Ohr irritiert, ich spreche aus tiefstem Herzen, ich fühle mich, als sähe ich Bilder des Krieges, wieder Krieg in den Straßen, den Gassen, und die dazugehörigen Rhythmen der Trauer, hätte ich ihnen doch bloß gesagt, daß dieser demütige Diener selbst ein Student der Philosophie ist, ich sagte, ein humanistischer Künstler, schreibt meistens über die verächtlichsten und verdorbensten Seiten des menschlichen Lebens, Maler und Bildhauer zeigen den nackten Menschen, das ist der Gipfel künstlerischer Verworfenheit, Davids Skulptur der Gipfel menschlicher Verworfenheit, Sie können von Glück sagen, Exzellenz, daß Sie nicht die Sünde tragen müssen, dies gesehen zu haben oder in Zukunft sehen zu müssen, Sie haben ganz recht, Exzellenz, es hat gar keinen Sinn, mit ihnen zu streiten, aber um ehrlich zu sein, würde ich doch ganz gern meine Fähigkeit und Loyalität meinen Kollegen zeigen, denn sonst würde alles, was vom Volk nicht gesehen, gehört, gelesen werden darf, von Ihrem demütigen Diener nur in den großen Müllschlucker geworfen, unter Aufsicht Ihrer Exzellenz natürlich, in einen tiefen dunklen Müllschlund, seien Sie sich dessen gewiß, und sorgen Sie sich nicht um die Laternen, selbst tausend Suchscheinwerfer könnten nicht enthüllen, was sich in diesen Tiefen verbirgt – keine Sorge, bleiben Sie ruhig zurückgelehnt, es sind nur die Hunde, die im Müll nach einer Brotkruste suchen, und Bettler auf der Suche nach einem Lumpen, mit dem sie ihre nackte Brust vor dem Wind schützen können, und alle anderen, die nach Brot suchen.

Nichts soll der abscheulichen Menschheit zu Diensten sein, wir haben unser Alles den Heiligen versprochen, damit unsere Körper und unser ganzes Leben mit einer goldenen Festung der Moral umgeben sind, und unsere Seelen am Ende erlöst, erlöst, erlöst – wie Eure Exzellenz weiß, strebe ich beständig nach Verbesserung und Korrektur, und wenn mir ein irriger Ausdruck begegnet, der meinen Geist beunruhigt, dann unterstreiche ich ihn im Geiste. Das ist meine Aufgabe, alle Irrtümer und Zweideutigkeiten rot anzustreichen, in denen der kleinste Hinweis enthalten ist auf den Wunsch nach einem freien Leben, wie schwierig das Leben heutzutage geworden ist, Eure Exzellenz hat kein kleines Töchterchen, aber Sie lieben sicher alle kleinen Mädchen. Ich möchte Ihnen hiermit vorschlagen, daß wir sie verbieten sollten, damit sie nicht eines Tages in Arbeitszimmern niedersitzen müssen vor all dem Weiß, Weiß, Weiß, damit es nie, nie eingeschwärzt wird und seinen Schleichweg in unser Reich findet, damit die Menschen nicht so einen Druck haben, wissen zu wollen, obwohl man nicht sprechen sollte über die nächtlichen Streifzüge zum großen Müllschlucker, das sind natürlich nur Bettler und Hunde, wenn wir ein Werk vor seiner Schaffung verbieten könnten, hätten wir keinen Müllschlucker mehr voll mit Schriften, Bildern, Skulpturen, so daß auch all die anderen mit einer Laterne in der Hand losgehen könnten.

Wenn ich tief einatme, schießt mir ein heftiger Schmerz in den Knochen unterhalb des Herzens, besonders an Winterabenden, wenn ein kalter Wind weht, aber nicht genug, um die Laternen auszublasen, wenn er das doch bloß machen würde, der Schmerz im Knochen unterhalb des Herzens wird manchmal begleitet von Geräuschen des Skrupels, Skrupel, Skrupel drücken, obwohl, der schwere Atem seines demütigen Dieners kommt nicht von irgendeiner Pfeife, kommt vielmehr von dieser Pfeife.

Wenn sie angezündet wird, kann man nichts anderes tun, als ihr in den Kopf zu sehen, in dem Feuer sich breitmacht, das einen erinnert an den Vormarsch vieler vieler Laternen auf unseren Müllschlucker, so tief und schwarz, seien Sie versichert, Eure Exzellenz, weder die offene Flamme noch der Kupferglanz des Mondes, nichts kann die nackte Figur des David enthüllen. Merken sie, wie angenehm der Tabakgeruch der Pfeife ist? Bitte erlauben Sie mir, Ihnen etwas Rauch ins Gesicht zu blasen, blasen, entschuldigen Sie, ich dachte, daß das Schnarchen bedeutet, Sie sind wach, wach – sind sie wach?

Gazi Rabihavi ist Iraner und lebt in London. Seine literarischen Texte sind im Iran allesamt verboten oder vom Ministerium für Islamische Führung beschlagnahmt. „David“ entstand 1993 in Teheran.