Der Kampf gegen die Jahrhundertflut

Die Flutwellen des Red River erreichen das kanadische Winnipeg. Doch die Stadt ist vorbereitet. Gräben und ein 40 Kilometer langer Deich sollen die Wassermassen abhalten  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Während Grand Forks aus den Wassern des Red Rivers wieder auftaucht und sich die zurückkehrenden Bewohner fragen, ob der Wiederaufbau der Stadt möglich ist, erreicht dieser Tage die Flutwelle das kanadische Winnipeg. Die Stadt in der Provinz Manitoba hat 650.000 Einwohner. Doch Winnipeg hat begründete Aussichten, die Flut besser zu überstehen als Grand Forks im US-Bundesstaat North Dakota im Süden. Das liegt an der längeren Vorwarnzeit, die man in der kanadischen Provinz hatte.

Der nordwärts fließende Fluß taute im Norden langsamer auf als im Süden, so daß die Wassermassen sich stauten und entsprechend langsamer vorankamen. Dafür aber verschlimmerte sich die Lage im Süden. Das liegt aber auch daran, daß Kanada ein besseres Hochwassermanagement hat. „Kanada ist eben ein zivilisierter Staat und tut sich mit großflächiger und zentraler Planung nicht so schwer wie wir Amerikaner“, sagt Bret Hulsey vom Büro des Sierra Clubs in LaCrosse, Wisconsin.

Held der Stunde ist in Winnipeg Robin Duff, ehemaliger Bürgermeister der Stadt, dessen verrückte Idee von damals sich spätestens heute als Segen erweist. Nach der Flutkatastrophe von 1950, als 100.000 Menschen evakuiert werden mußten, ließ er einen 50 Kilometer langen Bypass-Graben um die Stadt legen. Das Projekt hat Panamakanal-ähnliche Ausmaße und wurde damals spöttisch Duffs Ditch (Duffs Graben) genannt.

Dank dieses Grabens kann das Hochwasser des Red River wie auf einer Umgehungsstraße an der Stadt vorbeigeleitet werden. Dieses Jahr aber ist das Wasser so hoch, daß es südlich von Winnipeg über die Ufer trat und die Stadt jetzt vom Südwesten her bedroht. Also begann die kanadische Armee bei Brunkhild im Süden der Stadt den Brunkhild Bunker zu bauen, einen 40 Kilometer langen Deich. Wofür eigentlich acht Wochen kaum ausgereicht hätten, das wurde in nur 48 Stunden bewerkstelligt. Sogar die Post lieferte Sand in ihren Postsäcken an. Die nächsten Tage werden zeigen, ob die Gräben und der Bunker tatsächlich funktionieren.

Ursache der Flut sind Rekordschneefälle und ein plötzlich einsetzendes Tauwetter mit starken Regenfällen. Der Fluß ist auf das 22fache seines normalen Volumens angeschwollen, die schlimmste Flut seit 1852. Also wieder mal eine Jahrhundertflut, wie 1993 am Oberlauf des Mississippi. Die „Jahrhundertfluten“ haben in diesem Jahrhundert drastisch zugenommen. Allein in den letzten vier Jahren haben in den Vereinigten Staaten Überschwemmungen 500 Menschenleben gekostet und Schäden in Höhe von 33 Milliarden Dollar verursacht. Die Ursachen sind immer die gleichen. Flüsse treten nun mal bei starken Regenfällen und Schneeschmelze über die Ufer, Schwemmland aber ist fruchtbarer Ackerboden. Also greift der Mensch ins Abflußregime ein.

Anfang des 19. Jahrhunderts wuchsen lichte Mischwälder entlang der Flüsse des Nordens, heute sind die Dakotas und Manitoba baumlos. In North Dakota allein wurden einer Studie zufolge 70 bis 80 Prozent der Feuchtgebiete trockengelegt, entsprechend verringerte sich die Wasserhaltekapazität des Bodens. Die Wiederherstellung von nur 5 Prozent der Feuchtgebiete würde das Wasser aller Fluten der letzten Jahre im Mittleren Westen absorbieren.

„Ja, wissen Sie das denn nicht? Hier ist der Ort, wo die Engel ertrinken.“ So charakterisiert ein kleiner Junge die archaisch anmutende Landschaft der Dakotas. Seinen Ausspruch dokumentiert Kathleen Noris in ihrem 1993 erschienenen Buch: „Dakota. A Spiritual Geography“. Die Dakotas und die angrenzenden kanadischen Provinzen sind urzeitlicher Meeresboden und sehen auch so aus. Das Red River Tal ist gerade 9.000 Jahre alt. Hier hatte der Fluß kaum Zeit, sich ein anständiges Bett zu graben – kein Vergleich mit dem Rheingraben. Hier wird alle Jahre wieder aus dem Roten Fluß ein Rotes Meer. Eine unfertige Gegend, die nicht eigentlich für Besiedlung geeignet ist.

In den Dakotas war es nicht anders als mit anderen Teilen des Westens: Von ein paar ungewöhnlich warmen Wintern und ein paar feuchten Sommern angelockt, siedelten hier Einwanderer. Als dann die Sommer sengend heiß und im Winter Rekordkälten von minus 60 Grad gemessen wurden, bewegten sich die Planwagen-Trecks wieder zurück nach Osten. Heute wohnen in Minneapolis, Minnesota mehr Menschen als bei den Dakotas und in Montana zusammengenommen.

„Das Beste wäre es tatsächlich, die Menschen ließen diese Flußufer unbesiedelt“, sagt Ken Gardner vom Regionalbüro des US-Army Corps of Engineers in Minneapolis. „Wahrscheinlich aber werden wieder Unsummen für Hochwasserschutzmaßnahmen ausgegeben – und das nicht mal koordiniert und nach einheitlichem Plan wie in Kanada.“