Hoechst verabschiedet „Farbwerker“

■ Spezialchemikalien werden an Schweizer Firma abgegeben. Hauptversammlung soll Umstrukturierung zustimmen

Frankfurt/Main (taz) – Ob in den alten Farbwerken der Hoechst AG noch nach dem Jahr 2000 Spezialchemikalien produziert werden, das bezweifelte der Vorstandsvorsitzende Jürgen Dormann schon nach den letzten großen Störfällen im Jahre 1996. Seine Prognose, daß in den Frankfurter Stadtteilen Höchst, Griesheim und Fechenheim vielleicht ganze Betriebsteile aus ökonomischen und/ oder ökologischen Gründen stillgelegt werden müßten, provozierte seinerzeit einen Sturm der Entrüstung im Frankfurter Römer. Der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Lutz Sikorski, schäumte damals, Dormann habe zuerst die Menschen „vergiftet“ und wolle ihnen dann auch noch die Arbeitsplätze wegnehmen.

Die alten Farb- und Rotwerker verraten und verkauft? Verkauft ganz bestimmt. Denn im Rahmen der Neuordnung des gesamten Konzerns, nach der die Hoechst AG nur noch als Dachfirma, als „Strategische Management Holding“, fungieren soll, wird die Stammbelegschaft an einen neuen Arbeitgeber abgegeben: An die Clariant AG in Muttenz in der Schweiz, einst selbst eine Ausgliederung des Chemiegiganten Sandoz und heute ein eigenständiges, börsennotiertes Unternehmen.

Auf der gestrigen Hauptversammlung der Hoechst-Aktionäre warb Jürgen Dormann vehement um deren Zustimmung zu dem Konzernumbau. Es wird offenbar weiter weggehauen werden in dem Chemiekonzern, wie der Unternehmenschef gestern ankündigte: „Im Rahmen der Umgestaltung in eine Strategische Management Holding werden alle Geschäftsbereiche, die zur Zeit noch operativer Bestandteil der Hoechst AG sind, in rechtlich selbständige Tochtergesellschaften ausgegliedert.“ Daß es dabei auch zu weiteren Desinvestitionen – vulgo Verkäufen – kommen könnte, wollte Dormann nicht ausschließen. Nach Durchführung einer Kapitalerhöhung bei der Clariant AG wird die Hoechst AG sich mit 45 Prozent als Hauptaktionär an dem Unternehmen beteiligen.

Doch wie lange wird Hoechst bei Clariant im bislang laut Dormann „unbefriedigenden“ Geschäft mit Spezialchemikalien noch mit im Boot sitzen? Bis zum Jahre 2000 jedenfalls hat sich Hoechst vertraglich verpflichtet, die von den Farbwerken gehaltenen Aktien „nur mit Zustimmung des Verwaltungsrates der Clariant AG“ zu veräußern. Und danach? Alles offen. In einem Interview mit der Wirtschaftszeitung Wall Street Journal hatte Dormann seine Firma bereits als „nicht nationales Unternehmen“ bezeichnet.

Weil durch die Verbindung mit der Clariant AG Synergieeffekte von rund 600 Millionen Mark erzielt werden könnten, die den Aktionären von Hoechst über die Beteiligung an Clariant zugute kommen würden, wurde der breits vom Aufsichtsrat abgesegnete Vertrag auf der Hauptversammlung (HV) von Hoechst gestern in Frankfurt abgesegnet. Es heißt also Abschied nehmen für die Rotwerker von Hoechst. Und dann den Platz behaupten bei Clariant. „Kopf hoch und durch“, so der Kommentar des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Arnold Weber. Bei Hoechst jedenfalls schrumpft die Belegschaft weiter, im ersten Quartal 1997 um weitere 12.400 auf 147.000 Mitarbeiter.

Damit das Abschiednehmen von der alten Konzernstruktur leichter fällt, hat Dormann auch gleich noch das alte Logo von Hoechst abgeschafft und durch ein „zeitgerechteres“ ersetzt. Statt der Verbindungen schaffenden Brücke ziert jetzt ein kleines blaues Viereck den letzten Buchstaben von Hoechst. „Kleinkariert“ nannten das einige Besucher der Hauptversammlung, die als Pensionäre immer stolz darauf waren, einmal „Farbwerker unter dem Brückenzeichen“ gewesen zu sein. Klaus-Peter Klingelschmitt