Dialoginquisation

■ Fausts beeindruckende Inszenierung von „Man lebt, weil man geboren ist“

Denken Sie an Kühe. Friedliches, unreflektiertes Weideglück. (Massenzucht, Schlachtbank.) Und jetzt: Vergessen Sie das Bild.

In einer schönen Villa an der Außenalster hat die junge Regisseurin Kristina Faust für das Thalia Theater Man lebt, weil man geboren ist inszeniert. 38 Stühle stehen dicht gedrängt für das Publikum bereit, ihnen gegenüber zwei weitere für die Spieler. Auf einem sitzt Mutter, hübsch zurecht-gemacht und aufgeregt, hinter dem anderen steht, kaltschnäuzig, der Sohn. Ihre Begegnung ist so wenig zufällig wie die Anwesenheit des Publikums: Sohnemann hat alles inszeniert. Er kam als Voyeur in eigener Sache, um auszuhorchen und zu verwerten. Von Beruf Journalist, besucht er seine Mutter an diesem 15. Juni 1989 nicht, um zu reden, sondern sie zu interviewen. Was bei seinem Fragestil einem Verhör gleichkommt. Und in der Konsequenz einem Schauprozeß.

Das Dialogstück Man lebt, weil man geboren ist des Zeit-Autors André Müller basiert wirklich auf einem Interview, das der heute 51jährige vor acht Jahren mit seiner Mutter für die Zeitschrift führte. Doch was von dem Bühnendialog wahr, was fiktiv ist, muß den Zuschauer nicht interessieren. Entscheidend ist, daß Müller ein hochsensibles Portrait einer Frau und gleichzeitig ein großartiges Psychogramm eines generationsspezifischen Frauentypus gelang. Jener Mütter, die immer geleistet haben doch sich stets als passiv begriffen. Im Krieg, beim Wiederaufbau, beim (Allein-)Erziehen der Kinder: Vergewaltigungen und Entbehrungen erzeugten nicht mit Wut, sondern Scham.

Hans-Jörg Frey spielt den Sohn leider gleichbleibend als Pitbullterrier, doch Katharina Matz ist wahrhaft grandios in der diffenzierten Darstellung dieser Frau, die ihre Bewältigungsstrategien sehr wohl durchschaut hat. Der permanenten Frage, warum sie sich nicht umbrachte, setzt sie die verzweifelte Behauptung eines Lebensglücks und ihrens„natürlichen Überlebenswillens“entgegen: „Du darfst micht jetzt fragen, was mich von einer Kuh unterscheidet.“ ck