„Gemeinsame Definitionen finden“

■ Christina von Braun, Professorin für Kulturwissenschaften an der Humboldt-Uni, über Homosexualität und Gender-Studies

taz: Aus welcher Perspektive nähern sich die Gender-Studies dem Thema Homosexualität?

Christina von Braun: Wie überhaupt bei der Beschäftigung mit Geschlechtern wird zu fragen sein, wie das Selbstbild von Individuen und deren Sexualverhalten nach kulturellen Zugehörigkeiten durch Zuschreibungen von anderen bestimmt wird und gelesen werden muß. Insofern ermöglicht gerade auch die Homosexualitätsforschung, zu sehen, wie Fremd- und Selbstwahrnehmungen auf kulturell fundierten Geschlechterbildern beruhen.

Das betrifft auch die Vorstellung einer biologisch angelegten Eigenschaft...

Richtig. Große Teile der Homosexualitätsforschung argumentieren ja heute schon mit der kulturellen Zuschreibung von sexueller Identität. Andere insistieren auf der biologisch determinierten Unentrinnbarkeit der sexuellen Orientierung, auf dem Naturrecht. Der interdisziplinäre Studiengang Gender-Studies kann dazu beitragen, daß endlich gemeinsame Definitionen gefunden werden, um mit dieser Paradoxie umzugehen.

Eine problematische Spannung, diese Paradoxie: Einerseits wollen Homosexuelle ihr Naturrecht einklagen, engen sich dabei aber selbst ein, weil sie sich eine Identität in den Leib konstruieren.

Das gilt auch für die Frauenforschung. Dieses Spannungsfeld ist sogar recht produktiv. Einfach nur daraus aussteigen zu wollen ist vielleicht gar nicht die richtige Antwort auf dieses Problem.

Ist die biologistische Argumentation in der wissenschaftlichen Debatte nicht vollkommen überholt? Kann man nach Foucaults Lebenswerk „Sexualität und Wahrheit“ überhaupt noch von homosexueller „Veranlagung“ sprechen?

Sicherlich nicht. Trotzdem taucht immer auch die „biologische“ Geschlechtlichkeit auf. Als eine soziale Konstruktion zwar, aber als eine, der man nicht einfach ausweichen kann: Wenn wir uns Projektionen vom Leibe halten wollen, müssen wir uns immer auch mit dem „biologischen“ Geschlecht auseinandersetzen, das uns zugeschrieben wird. Interview: Holger Wicht