Faustschlag beim Brückenschlag

■ Zivilbeamter wegen Körperverletzung eines Mitarbeiters des Stadtteilvereins SO 36 vor Gericht. Fotos der Eröffnung der Oberbaumbrücke ermöglichten Prozeß

Bei der symbolträchtigen Eröffnung der Oberbaumbrücke für den vierspurigen Autoverkehr am 9. November 1994 wurde kein Protest geduldet. Pfiffe und Buhrufe aus den Reihen der handverlesenen Gäste wurden von der Polizei knüppelhart abgewürgt. Mindestens ein Dutzend Personen, die die Rede des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen lautstark untermalten, wurden von zivilen Rollkommandos unter Schlägen und Tritten von der Brücke befördert. Einer von ihnen war der 35jährige Sozialarbeiter Thomas Behrendt, der damals als Mitarbeiter des Stadtteilvereins SO 36 zu den streng selektierten Teilnehmern auf dem abgesperrten Brückenbereich gehörte. Die zahlreichen Gegner des Brückenschlags als Ausdruck des Autowahns mußten außen vor bleiben.

Einer der sechs Zivilbeamten, die Thomas Behrendt laut damaligen taz-Berichts am Hosengürtel fünfzig Meter über den Asphalt geschleift hatten, stand vorgestern wegen Körperverletzung im Amt vor Gericht. Das seltene Kunststück, einen mutmaßlichen Polizeischläger vor den Kadi zu bringen, ist Behrendt nur deshalb gelungen, weil es vom gewaltsamen Abtransport Fernsehaufnahmen und Fotos gibt. Es handelt sich dabei allerdings nicht um die Schläge und Tritte, die Behrendt dabei widerfuhren, sondern um einen Faustschlag nach Beendigung der sogenannten Vollstreckungshandlung.

Behrendt erkannte gestern den 36jährigen angeklagten Zivilbeamten Kester L. eindeutig als den Schläger wieder. Nachdem er von sechs Beamten von der Brücke gezerrt und durch eine Zaunöffnung „geworfen“ worden sei, habe er sich hochgerappelt und eine Dienstnummer gefordert. Der schon einige Schritte entfernte L. habe sich auf seinen Zuruf hin umgedreht, sei zurückgekommen und habe ihm einen Schlag auf die linke Backe verpaßt. Diese Vorwürfe bestreitet der angeklagte L.

Bei der Vernehmung von Behrendt saß er mit verschränkten Armen da. Den Zeugen würdigte er keines Blickes. Nur das Zucken seiner Wangen verriet seine Unruhe. Sein Verteidiger wollte von Behrendt wissen, ob es nicht „ein völlig untypisches Verhalten“ sei, eigens für einen Schlag zurückzukommen. „Ja“, antwortete Behrendt, „deswegen war ich ja auch so schockiert.“ Warum er erst zwei Tage nach dem Vorfall Anzeige erstattet habe, bohrte der Verteidiger weiter: „Sie wissen doch, wie das geht. Sie sind doch ein intellektueller, politisch engagierter Mensch.“ Er habe das Gefühl gehabt, daß es „sowieso keinen Zweck hat“, erwiderte Behrendt. Erst als er L. auf einem Foto gesehen habe, habe er sich zu der Anzeige entschlossen. Aufgrund des „sehr breiten Gesichtes“ des Schlägers, so Behrendt, habe er sofort erkannt, „das ist der, den ich meine“. Behrendt wäre auch gegen die anderen Beamten vorgegangen, „die mich in den Unterleib getreten und mir den Finger verrenkt haben“. Aber er hatte die Gesichter der Täter nicht gesehen. Fotos, die der taz vorliegen, dokumentieren, daß Behrendt mit nach unten gedrücktem Kopf und verrenkten Armen abtransportiert wurde.

Der Prozeß muß am 28. Mai noch einmal von vorn aufgerollt werden, weil sich ein Polizeizeuge vorgestern im Urlaub befand. Die Verhandlung war schon einmal ausgefallen, weil der selbe Zeuge krank war. Eine Zuschauerin kommentierte dies mit den trockenen Worten: „Wahrscheinlich hat er Angst zu kommen, weil er weiß, daß er lügen muß.“ Sämtliche Polizeizeugen sind laut Akten Entlastungszeugen für den Angeklagten. Es gibt jedoch auch eine Sozialarbeiterin, die die Mißhandlung von Behrendt gesehen hat. Auf das Urteil darf man gespannt sein. Plutonia Plarre