■ Grün und geizig von Wien bis Leipzig
: Ich sah die Greenpeace-Queen!

Der Kellner im Mitropa-Speisewagen war jung, blond und ungeschickt. Seine Klumsigkeit versetzte ihn in namenlose Wut. Verschwand er im Küchenverschlag, hörte man mühsam unterdrückte Flüche und das Splittern von Geschirr. Der Anlaß seiner Galligkeit war – abgesehen davon, daß er arbeiten mußte, wo andere sich lümmelten – nicht ersichtlich. Kaum wagte man, ihn mit einer Bestellung zu behelligen. Zwar versuchte der junge Mann in diesem seltenen Fall, sich zusammen- und sie halbwegs freundlich entgegenzunehmen, doch die Blitze aus seinen blauen Augen straften seine bröcklige Fassade Lügen.

Eine Aura von GRRR!!! und Rührmichnichtan! umschloß ihn. Er wußte, daß er alles falsch machte, und er wußte, daß alle anderen das auch wußten, gerade weil niemand ihn kritisierte oder etwas Fieses sagte wie: „Sie nennen es Dienstleistungsgewerbe, aber es ist nur Deutschland.“ Er befand sich im Zustand der Unwucht, aber der würde nur von relativ kurzer Dauer sein: Entweder würde er den Job quittieren oder bald gelernt haben, seinen Törn zu machen, cool und durch nichts aus der Fassung zu bringen, nicht mehr ganz so spack und schlank wahrscheinlich, sondern auch äußerlich der ruhigen Kugel ähnlich, die er dann schieben durfte. Es war ein Bild, auf das er und die Umwelt sich freuen durften; ich hoffte für ihn, er würde schon an diesem Tag die Arbeit hinschmeißen und nicht nur die Teller.

Diese Entscheidung aber konnte ich nicht abwarten und riskierte eine Bestellung. Einen Kaffee wollte ich trinken, aber nicht den Mitropa-Kaffee, der die Schrecken des Ölwechsel heraufbeschwört und an der Mageninnenwand immer so seltsam krabbelt, sondern versuchsweise den in der Karte ebenfalls ausgewiesenen Schümli- Kaffee. Was denn Schümli zu bedeuten habe, fragte ich mit einer Freundlichkeit, die aufgesetzt genug war, um selbst in Wien nicht aufzufallen. „Kolbenpressung!“ schnauzte mich daraufhin der Jüngling an, es klang wie „Kolbenfresser!“ und „Erpresser!“ gleichzeitig.

Mir war das egal; am hellichten Tag durchs Land kutschiert werden, in angemessen langweiligen Tageszeitungen blättern und dabei massenhaft Raum für entsprechende Notizen haben, das war doch gut und ein schönes Müßiggängerleben, in dem auch ehrlich empfundenes Mitgefühl für alles Volk ohne Raum für Notizen noch reichlich Platz fand.

In Gedanken an den zu erwartenden Kaffee innerlich bereits zum Wein übergehend, bekam ich Zuwachs. Eine mittlere Dame setzte sich zu mir an den Tisch. Sie war um die 40 und alles andere als unansehnlich, dabei aber so demonstrativ naturbelassen, daß sie das Greenpeace-Magazin gar nicht hätte mit sich führen müssen, um mühe- und zweifellos als ökologisch engagierte Person identifiziert zu werden. Sie bestellte einen Käsekuchen und fragte, ob sie meine taz leihen könne. Nur zu, nickte ich und frohlockte: Ich würde mich doch nicht um meine Chance bringen, die typischste aller taz-Leserinnen bei der Lektüre der taz zu beobachten!

Gab aber gar nichts zu gucken; bald schon legte sie die taz zur Seite und griff statt dessen zur Zeitschrift Kommune, die sie ebenfalls dabeihatte. Sie las sich regelrecht fest; wer wie ich das Blatt einmal aus beruflichen Gründen hat lesen müssen, kann sich darüber nur wundern. Publizisten etwa, die während des Krieges in Jugoslawien nicht nach der Bombardierung Serbiens schrien, wurden in der Kommune als „Serbienliebchen“ hingehängt; Gegner belegte der Herausgeber des Blattes, ein Herr Schmierer, gern mit der Bezeichnung „Idiot“, ohne seinen Leserinnen und Lesern dabei den Luxus eines Arguments zu gönnen. Ob er als Grüner zu geizig dazu ist? Ob er Leuten, die freiwillig seine Artikel lesen, nicht zutraut, einem Gedanken folgen zu können? Oder fürchtet Schmierer ganz banal die Aufdeckung des einzigen Geheimnisses, zu dem er es zeit seines Lebens gebracht hat – daß er nämlich mit Vornamen nicht, wie er angibt, knuffig und dufte klingend Joscha heißt – als wolle er seinen für einen Zeitungsmann recht ungünstigen Nachnamen ausgleichen –, sondern ganz popelig Hans Gerhard?

Möglicherweise, sinnierte ich, hat Schmierer ja auch Max Goldts Kolumne in der Titanic (5/97) gelesen, in der Goldt die Überlegung anstellt, ein interessant tönender Name verweise sehr wahrscheinlich auf die substantielle Uninteressantheit seines Trägers – was wiederum besonders pikant ist, da ja Max Goldt, der zu Werbezwecken den Slogan „Max Goldt, ein Name wie ein Peitschenhieb“ öffentlich verwendet, eigentlich Matthias Ernst heißt. Und Schmierer denkt nun, alles käme auf! Ha! Hat Hans Gerhard Schmierer etwa Angst?

So munter ging es zu in meinem Kopf, während ich der Greenpeace-Queen, wie ich sie mittlerweile bei mir getauft hatte, beim Lesen zusah. In den siebziger Jahren war Herr Schmierer noch als Maoist durchs Land geeiert und hatte allerlei verkündet – genauso wie seine Parteigängerin Frau Vollmer, die ihre spätere, d.h. heutige Existenz als Bundestagsvizepräsidentin nicht als Indiz ihres Ehrgeizes und ihrer Anpassungsfähigkeit ansehen will, sondern sie ausschließlich als Beleg einer angeblich auch von ihr ganz persönlich gründlich zivilisierten Gesellschaft ausgibt. Wer die Bielefelder Theologin Antje Vollmer je öffentlich hat sprechen hören, der weiß, daß die Gründung der Grünen eines der größten ästhetischen und intellektuellen Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte war.

Die Greenpeace-Queen verlangte zu zahlen. Sie warf dem Kellner ein Fünfmarkstück hin. Dessen Autismus wich blankem Unglauben. „Soll das für mich sein?“ fragte er, von seiner eigenen Fassungslosigkeit zur Räson gebracht, beinahe tonlos. „Sie können den Rest behalten“, beschied ihm die Frau in der hochnäsigen Art, die sie als Vertreterin sowohl des klassischen als auch des alternativen Autoritären Charakters auswies: Sich gegenüber Leuten, die sie als subaltern eingestuft haben, herablassend zu benehmen und das als antiautoritäres Verhalten verhökern, dazu sind grüne Bürgerin und grüner Bürger wohl in der Lage – und legen sich entsprechend devot und handzahm den Schlawinern und Qualleimern vor die Füße, die bei ihnen die Säulenheiligen abgeben – also z.B. Rudolf Steiner, Rudolf Bahro, Heinz- Rudolf Kunze und Hans Küng.

Der Kellner immerhin akzeptierte das Trinkgeld nicht und rettete so sein Gesicht; wortlos legte er das ihm zugedachte Fünfzigpfennigstück auf den Tisch. Dort verblieb es ein paar Minuten, bis die Greenpeace-Queen es sichtlich erleichtert wieder an sich nahm. Ihre Knickerigkeit war noch größer als ihr Bedürfnis, jemanden zu demütigen, von dem sie immerhin annehmen durfte, er werde sich nicht wehren.

In Magdeburg, einem der unseligsten Orte, den die Menschheit zusammenklempnerte, stieg sie aus. Und während ich fröhlich dachte: „Magdeburg, das gönn' ich dir!“ – und zwar im doppelten Sinn – lächelte ich ihr zum Abschied freundlich zu. Wiglaf Droste