■ Querspalte
: Ein Ruck geht durchs Land

Mag es in der SPD-Spitze bei der Kandidatenfrage noch lange blairen und gären, weil Kohl nicht Major ist, sondern Sultan von Bonn, wie der Spiegel – ganz beleidigte Leberwurst – den Kanzler neuerdings beschimpft, weil der den Spiegel- Mann nicht mit nach Brunei in den kleinen Urlaub zwischendurch nahm; mag auch die sture IG Metall weiterhin ihre anachronistische Arbeitszeitverkürzung fordern in einer Zeit, in der alle doch nur die Ärmel hochzukrempeln haben; und mögen sich Deutschlands träge Dicke ruhig zu einem dekadenten Antidiättag einfinden – es hilft nichts: Ein Ruck geht durch die Deutschen! Der verschmitzte Bundespräsident hat ihn mit seiner Berliner Aufbruchrede ausgelöst. Und fast überall erblühen nun die Folgen jener mahnenden Worte. Während der DGB zwar noch unsportlich lamentiert, die Regierung treibe Behinderte ins Abseits, öffnet sich anderen Ortes Knospe um Knospe einer modernen rosigen Zukunft mit Zukunft: BMW baut jetzt auch Hochschulen! Hamburgs Voscherau fordert ein Ende der „Schönwettergesetze“ für Ausländer! Seehofer will weniger Bierwerbung in Sportsendungen! Der Transrapid wird endlich gebaut! Die Telekom wird die Gebühren für die „Auskunft“ erst mal nicht verteuern. Die Atommüllgespräche werden einmal fortgeführt werden!

Doch nicht nur Politik und Wirtschaft brechen auf, auch manche Medien ließen sich vom Geiste jener großen Rede anstecken. Besonders einsichtig zeigte sich die auflagenstarke Ulmer Südwest Presse: „Über mangelnde Freizeit zu Beginn des Wonnemonats Mai brauchen wir nicht zu klagen. Grund genug, mal wieder mit Freude ans Tageswerk in Fabrik, Büro oder Amtsstube zu gehen. Oder nicht?“ Jawoll! Da schlagen wir prompt hochmotiviert die Hacken zusammen. Und natürlich jeden, der nicht mitmacht beim Abschiednehmen von liebgewordenen Privilegien, wie nicht so gute Tage zu haben (schweres Mobbing), Zweifel zu hegen (elende Miesmacherei) oder gar Widerworte zu geben (brutaler Terror). Philippe André