Poetri-Släm

Mein Stammkunde, Studienrat Arnold, ist ja so einer, der auch inne Freizeit von sein' Beruf nicht loskommt. Genau wie de Politiker: Wenn die zun Essen eingeladen werden, oder sie unterhalten sich mit Leute aussen Volk vor ein' Kiosk: Ist alles Arbeit für sie! Sogar, wenn sie mal eben Gutnacht sagen: Alles Dienst für de Partei! Studienrat Arnold kauft bei mir immer de Fachzeitschrift „Aufgemerkt“. Eigentlich ist das 'ne Fernsehzeitschrift. Bloß, daß in diese jede Sendung benotet ist. Von 1-6. Wie inne Schule. Das erleichtert ein' Lehrer natürlich ganz schön de Lektüre. Dazu ist sie nache Regeln für de neue Rechtschreibung abgefaßt. Das heißt, nicht ganz, denn de Redakzion hat da mit Absicht Fehler reingemacht. Die soll man als Leser nu finden und dick rot anstreichen. De korregierte Zeitung kann man denn anne Redakzion zurückschicken. Und wer de meisten Fehler findet, kriegt vonne Zeitschrift 'ne Reise nach Darmstadt spendiert, wo er in eine richtige Akademie mit ein' vonne Tüpen diskutiern darf, de diese neue Regeln erfunden habn. Ja, eigentlich könnte Studienrat Arnold zufrieden sein mit sein Leben, aber dauernd beklagt er sich über den Verfall vonne deutsche Kultur. Besonders auffen Gebiet vonne Zeitschriften. Und das kann ich natürlich nicht durchgehn lassen. „Kucken Sie doch mal“, sag ich vorhin denn auch zu ihn, „was für ne pluralistische Vielfalt das allein auffen Sektor vonne sexuelle Befreiung gibt. ,Der Anaboliker', das ist 'n Blatt für Boddibilder, die nicht viel Worte machen und bloß mal eben ihre Muskulatur anspann', wenn se erotikmäßig Kontakte knüpfen wolln. Oder hier: ,Der Geißler', das ist nicht politisch gemeint, sondern für konservative Sadomasos. Oder ,Zungenkuß': für Knoblauchfäns. Oder ,Der Bürohengst', der ist für Leute, die ihre Orgies bloß während ihre Arbeitszeit kriegen könn'. Und hier: ,Quickie', für Geschwindigkeitsfanatiker. ,Der Frotteur': für Menschen, die ihre Erfüllung in überfüllte U-Bahn' finden, und ,Der Mitschnacker' ist für ...“Studienrat Arnold schüttelt sein' Kopf: „Das meine ich doch gar nicht. Ich meine den Verfall auf dem Gebiet der Dichtung ...“„Da habn Sie doch die Bild und die Mopo", will ich anfang', aber nu mischt sich Sonnenbank-Heinzi ein: „Was suchen Sie denn auch die Dichtung nur im geschriebenen Wort! Dichtung kann auch Wirkung OHNE WORTE sein!“Und da hättst du den Arnold mal sehn solln in seine Verdatterung. Heinzi hat ihn das denn erklärt: „Waren Sie schon mal bei einem Poetry-Slam? Da klettern die Dichter auf ein Podest, und jeder hat fünf Minuten Zeit für seinen Event. Und wenn der dem Publikum gefällt, darf der Dichter für fünf Minuten weitermachen. Gefällt er nicht, darf man ihn anbrüllen, vollspucken, mit Bierdosen bewerfen. Aber Sie glauben gar nicht, wie die Dichter sich bemühen! Mit Licht-Kaskaden, Gogo-Girlies, Kunstnebel, die bringen echt Leistung mit ihren irren Effekten.“„Und was ist mit den TEXTEN“, fragt Studienrat Arnold. „Auf die Texte habe ich gar nicht geachtet“, sagt Heinzi, „aber Wahnsinns-Effekte hatten die ...“