Wiederkehr des Verdrängten

Im neuen GebrauchtwarenHaus in Mitte verkauft die Stadtreinigung Hausrat, den die Berliner in den Müll warfen. Ziel: Müllberg soll halbiert werden  ■ Von Isabel Richter

Eine Frau umkreist minutenlang die verschiedenen Kühlschrankmodelle à 70 Mark. Sie öffnet die Türen und läßt sie immer wieder mit einem leisen schnalzenden Geräusch zufallen. Zwei Teenager schieben den Teetisch mit japanischem Dekor ein bißchen durch die Gegend.

Mein Nachbar mit der Blues- Brothers-Brille, der vorher die Haushaltstreppe mit dem Tigerfellimitat getestet hat, richtet seinen Blick an die Decke des neu eingerichteten GebrauchtwarenHauses. Eine Flut aus unterschiedlichen Lampenmodellen, Tiffany neben Neuköllner Barock, gibt den mintfarbenen Verkaufsräumen eine bizarre Atmosphäre. „Is' schon 'ne Geschmacksfrage“, lacht er, „aber doch alles echt passabel.“

Seit ein paar Tagen haben die Berliner Straßenreinigungsbetriebe in der Holzmarktstraße 19–22 ihr neues GebrauchtwarenHaus eingerichtet. Für wenig Geld bekommt man dort gut erhaltene Möbel und Elektrogeräte, die die BSR täglich als Hausrat und Elektroschrott einsammelt.

„Sie glauben gar nicht, wieviel Müll die Leute so wegwerfen“, erzählt Ulrich Keppler von der Service-Abteilung der BSR. 2,4 Millionen Tonnen sind es jährlich allein in Berlin – genug, um damit achtmal das Olympiastadion zu füllen.

Der darin enthaltene Hausrat wurde bisher nach Kunststoff, Schrott und Holz getrennt und dann zusammengepreßt. Mit dem Holz werden normalerweise Zementfabriken angefeuert. Der Restmüll landet täglich auf den Brandenburger Mülldeponien. Bis zum Jahr 2000 soll der Müll in Berlin halbiert werden. Mit dem Recycling-Konzept im GebrauchtwarenHaus will die BSR in der Müllpolitik Zeichen setzen: „Von der Wiederverwertung zur Wiederverwendung“.

Gut erhaltenes Mobiliar und funktionstüchtige Elektrogeräte holt die BSR kostenlos zu Hause ab. Ansonsten berechnet die BSR für Sperrmüllmengen bis zu zehn Kubikmetern einen Pauschalpreis von 70 Mark. Welcher Sperrmüll noch gut erhalten ist und ins GebrauchtwarenHaus transportiert werden soll, wird vor Ort geklärt. „Die Mannschaften“, sagt Ulrich Keppler, „treffen auch schon mal eine Vorauswahl, was mega-out und was mega-in ist.

Später werden die Teile dann wieder zum Kubikmeterpreis verkauft.“ Pro Kubikmeter Mobiliar zahlt der Kunde im GebrauchtwarenHaus zwischen 180 und 200 Mark. Aber an die Preise müsse man sich noch herantasten. Mit dem Projekt will die Stadtreinigung kein Geld verdienen. Ziel ist die Kostendeckung.

In den beiden Verkaufsräumen des GebrauchtwarenHauses drängen sich riesige Schrankwände, die schon für 120 Mark zu haben sind, neben Siebziger-Jahre-Sideboards zu 70 Mark. „Die Idee ist von den Leuten, die gekommen sind, schon begeistert aufgenommen worden“, beschreibt Ulrich Keppler den ersten Öffnungstag.

„Ein Kunde stand schon um 6 Uhr vor der Tür. Der wollte unbedingt ein komplettes Schlafzimmer für 1.000 Mark als Hochzeitsgeschenk haben.“ Wirkliche Sonderstücke wie Gründerzeitkommoden oder Wurzelholzschränke, die manchmal auch im Sperrmüll landen, sollen versteigert werden. „Aber wegen der Preise brauchen wir noch einen Auktionator“, sagt Ulrich Keppler, „und dann machen wir das hier auf dem Gelände mit Blasmusik und Würstchen und so.“

Von Straßenfestatmosphäre ist auf dem ehemaligen Betriebsgelände des Kombinats Stadtwirtschaft bis jetzt noch nicht viel zu spüren. Ziemlich verloren stehen die fünf Prototypen Berliner Großmülltonnen im Brachland auf der Rückseite des Geländes. So, als ob sie jemand in der Einöde des Gewerbegeländes einfach vergessen hätte. Ulrich Keppler aber sieht unbeirrt in die Zukunft des Geländes: „Die Leute können erst im GebrauchtwarenHaus einkaufen und dann hier hinten ganz nett sitzen und den Ausblick auf die Stadtlandschaft genießen.“

Was die Leute schon jetzt ins GebrauchtwarenHaus zieht? „Ganz sicher Armut und soziale Not“, glaubt er, „aber auch der Wohlstand, sich noch ein drittes Schlafzimmer in der Datsche einzurichten. Viele sind auch einfach auf Schnäppchensuche.“

Bisher verkaufe sich alles ganz gut, selbst riesige Schrankwände, und auch das französische Sofa mit Zebramuster sei sofort weg gewesen. „Nur bei den Betten“, sagt Manuela Bischoff vom BSR-Service, „da sind die Leute eigen. Wer weiß, wer da schon drauf gestorben ist.“

GebrauchtwarenHaus, Holzmarktstraße 19–22, Öffnungszeiten: dienstags bis freitags von 9 bis 17 Uhr, samstags von 9 bis 13 Uhr. Weitere Infos: 276562618